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Neo Rauch wird 60 Ein Gefühl der Heimkehr

Neo Rauch ist einer der einflussreichsten deutschen Maler seiner Generation. Heute wird er 60.

Von Grit Warnat 18.04.2020, 01:01

Aschersleben l Neo Rauchs gegenständliche Bilderwelten hingen und hängen in Ausstellungen bekannter Museen der Welt. New York. Potsdam. München. Leipzig. Andere Gemälde mit dem Rauch-typischen eigenwilligen Bildpersonal sind nie öffentlich zu sehen. Sie wandern gleich mit ihrer Fertigstellung in Privatsammlungen. Es gibt Sammler, sie sich finanziell ins Zeug legen für einen Rauch und dessen figurative, surreale Malersprache.

Auch wenn er ein Künstler der (meist sehr großformatigen) Leinwand ist, wendet sich der Leipziger immer wieder dem grafischen Blatt zu. Seit Jahren werden in Aschersleben, einer Kleinstadt in Sachsen-Anhalt, Rauchs grafische Arbeiten in Jahresausstellungen der Öffentlichkeit präsentiert.

Aschersleben ist Neo Rauchs Heimatstadt. Vor genau zehn Jahren hat er der Kommune sein seit 1993 entstandenes grafisches Werk geschenkt. Es war sein großer Wunsch, seinen Namen mit seiner Heimatstadt zu verbinden. Er hatte die Idee für die dort angesiedelte Neo-Rauch-Stiftung. 2012 wurde sie dank mehrerer Unterstützer gegründet. Von Sachsen-Anhalt bekam er damals den Verdienstorden des Landes. Rauch habe dem Gemeinwesen ein Beispiel gegeben, sagte Ministerpräsident Reiner Haseloff.

Mit dem Namen Neo Rauch verbindet man in allererster Linie Leipzig, jene Stadt, in der er am 18. April 1960 geboren wurde und in die er Anfang der 1980er zum Studium an der Hochschule für Grafik und Buchkunst zurückkehrte. Er studierte bei Arno Rink, war später Meisterschüler bei Bernhard Heisig, der zum Dreigestirn der Leipziger Schule gehörte. Rauch wurde wichtiger Vertreter der sogenannten Neuen Leipziger Schule. Sein Galerist Harry Lybke kurbelte Rauchs internationale Karriere an. Die Ölgemälde schafften es in große Sammlungen bis nach Amerika. Das New Yorker Metropolitan Museum of Art widmete ihm 2007 eine Einzelausstellung.

Aschersleben aber ist ihm nie abhanden gekommen.

Er war ein Baby, erst vier Wochen alt, als seine Eltern bei einem Unfall ums Leben kamen. Der Junge wuchs bei seinen Großeltern in Aschersleben auf, Rauch wohnte bis zu seinem 18. Lebensjahr in der Kleinstadt. Das Abi hatte er da gerade in der Tasche.

Der Lebensmittelpunkt wurde Leipzig. Rauch lebt und arbeitet dort. Das Atelier hat er in der Leipziger Baumwollspinnerei, ein altes Industriegelände, das sich vor Jahren schon als prominenter Kreativort für Künstler und Ausstellungsmacher etabliert hat. Jedes Jahr lässt Rauch auch Arbeiten entstehen für die Jahresausstellungen in Aschersleben, wie „Das Kollegium“ für die gleichnamige Schau. Sie ist wegen der Corona-Pandemie dieser Tage geschlossen, würde Anfang Mai der dann folgenden Ausstellung weichen. Gezeigt werden sollen, das steht seit langem fest, frühe Arbeiten auf Papier. Rauch würde wieder – unabhängig vom Konvolut der Stiftung – Arbeiten zur Verfügung stellen.

Während manch andere namhafte Künstler ihre Wurzeln verleugen, weil solch vermeintlich provinzielle Herkunft nicht in die aufstrebende künstlerische Vita zu passen scheint, zieht es Rauch alljährlich sehr bewusst nach Aschersleben. „Ich nehme eine zunehmende Wärme wahr, die der Ort auf mich ausstrahlt und die ich auch gern zurückgebe. Ich habe immer mehr das Gefühl der Heimkehr“, sagte er vor Jahren in einem Volksstimme-Interview.

Neo Rauch gibt nicht gerne Interviews. Er lebt zurückgezogen, gilt als introvertiert, scheu. Als er der Regisseurin Nicola Graefs vor einigen Jahren für eine Dokumentation sein Atelier öffnete und ein Filmteam an seinem Schaffensprozess teilhaben ließ, galt das als kleine Sensation. Rauch soll ursprünglich das Projekt ganz und gar nicht gewollt haben.

Die Nachrichtenagentur dpa hatte sich zum 60. Geburtstag um eine Interviewanfrage bemüht. Die habe das Büro abgelehnt mit der Bitte um Verständnis. Der Geburtstag am 18. April sei für Herrn Rauch eine private Angelegenheit.

Auch die für 2020 geplante Ausstellung im Museum der bildenden Künste Leipzig wird nicht stattfinden. Die Leipziger Volkszeitung hatte im Dezember 2019 getitelt: „Neo Rauch sagt Ausstellung zum 60. in Leipzig ab“. Er habe noch nicht die gebotene Altersmilde dafür, die Werke aus seiner frühen Schaffensphase zu zeigen, sagte er der Zeitung und verwies auf eine Verschiebung um zehn Jahre.

In Aschersleben hingegen hofft die Stiftung auf ihre nächste, die bereits neunte Jahresausstellung. Am 6. Juni soll sie eigentlich eröffnet werden – keiner weiß im Corona-Krisen-Modus, ob der Termin zu halten ist. Und ob Rauch überhaupt selbst eröffnen kann – wie in all den Jahren zuvor.

Es ist bemerkenswert, dass sein Zugegensein bei der Präsentation der jeweils neuen Schau in Aschersleben für ihn stets gesetzt war. Er begrüßte nicht nur und verschwand möglichst bald; der Meister nahm sich Zeit, führte persönlich durch seine grafischen Bilderwelten, deren Sprache mancher Erklärung bedarf. Rauch gab sich da immer wohlüberlegt, druckreif formulierend, zurückhaltend. Er stand im Mittelpunkt, aber sein Gegenüber spürte, dass er darauf keinen Wert legte. Wohl auch deshalb setzte er in den Jahresausstellungen auch auf Werke von Gästen, auf einen künstlerischen Dialog wie mit seinem Lehrer Arno Rink, seinem einst verstorbenen Vater Hanno Rauch, seiner Frau Rosa Loy, geschätzte Künstlerfreunde.

Die geplante Schau soll eine Personalausstellung werden – wie ein nachträglicher Geburtstagsgruß aus seiner Heimatstadt.