Theater Peter Stein zu „Faust“: „Was Besseres kann man nicht lesen“
Der Regisseur wird 85. Vom Theater hat er sich eher verabschiedet, wie er erzählt. Was beschäftigt ihn? Und was hält er davon, dass „Faust“ zum Beispiel als Schullektüre mittlerweile weniger Bedeutung bekommt?

Berlin - Wenn man den Regisseur Peter Stein fragt, wie er die Theaterwelt verfolgt, dann sagt er einen interessanten Satz. Er habe, so erzählt Stein am Telefon, mit dem Theater eigentlich gar nicht mehr so viel zu tun. „Ich habe mich schon längere Zeit davon verabschiedet. Beziehungsweise das Theater hat sich auch von mir verabschiedet.“ Seit Langem lebt Stein in Italien und im Gespräch wird er noch erzählen, was ihn dort umtreibt.
Peter Stein gehört zu den Menschen, die maßgeblich die deutschsprachige Theaterszene geprägt haben. In den 1970ern und 1980ern machte er die Berliner Schaubühne groß, in den 1990ern war er Schauspieldirektor der Salzburger Festspiele. Seinen Namen verbinden manche etwa mit der Marathoninszenierung zur Expo 2000 in Hannover.
22 Stunden „Faust“
Damals inszenierte er die Komplettfassung von Johann Wolfgang von Goethes „Faust“. 22 Stunden, verteilt auf zwei Tage. Der Schauspieler Bruno Ganz hat in einem „Spiegel“-Interview einmal gesagt, für Stein sei „Faust“ das „größte Kunstwerk deutscher Sprache“. Stimmte das damals? Und stimmt es heute noch?
„Absolut“, sagt Stein. „Was in deutscher Sprache angestellt worden ist, kann sich nicht mit dem messen, was Goethe dort zustande gekriegt hat.“ Das gelte nicht für alle Teile des Gesamt-„Faust“, aber für die überwiegenden Teile. Besonders großartig findet er die Kerkerszene mit Faust und Gretchen. Eine Stelle, an die sich viele noch aus der Schulzeit erinnern dürften.
Nun verändern sich die Dinge stetig und auch beim „Faust“ scheint es so zu sein. Der Deutsche Bühnenverein jedenfalls registrierte zuletzt ein geringeres Interesse daran und im Unterricht verliert das Werk offenbar etwas an Bedeutung. In Bayern soll es im Schuljahr 2024/25 keine Pflichtlektüre mehr sein, nachdem es das fast ein halbes Jahrhundert lang gewesen ist - zumindest im Deutsch-Leistungskurs.
Darauf angesprochen sagt Stein, die Leute hätten eben andere Dinge, mit denen sie sich beschäftigten, das sollten sie auch tun. Aber das sei schon ziemlich traurig. „Denn was Besseres kann man in der Schule nicht lesen als diesen Text.“ Er spreche da allerdings von „Faust I“, „Faust II“ sei zu kompliziert für Kinder.
Durchforstet man ältere Texte, dann wird Stein manchmal als Marathonmann des Theaters bezeichnet. Und in einer Reportage in der „Süddeutschen Zeitung“ wurde ein Besuch auf seinem Landgut vor zehn Jahren so beschrieben: „Da steht er schon grämlich im Hof und wartet. (...) In sein Gesicht hat er einen demonstrativen Missmut gelegt, bisschen Abscheu noch dazu. Der große Peter Stein gibt mal wieder seine Paraderolle: den Menschenfeind.“ Im Text wurde aber auch geschildert, wie Stein im Gespräch auftaute.
Am Telefon echauffiert er sich nun ein wenig darüber, wie heutige Regisseure das Theater verstehen. Bei einer Inszenierung stellt sich ja oft die Frage, wie nah man an einem Originaltext bleibt oder wie viel Tohuwabohu man auf einer Bühne veranstaltet.
Landleben in Italien
Er sei der Meinung, dass große Kunstwerke zugänglich bleiben sollten für das Publikum, aber die Regisseure verweigerten das und machten ihren eigenen Kram, sagt Stein. „Dadurch kann vor allem die jüngere Generation diese großartigen Werke nicht mehr wahrnehmen.“ Bei theatralischen Texten könne man nicht alleine durchs Lesen erfahren, was wirklich darin stecke. Das könne man nur mit einer Inszenierung. Dann begreife man den eigentlichen Wert. Dafür müsse man sich aber zurücknehmen und sich fragen, was der Autor wolle und welche Vorstellung von Theater und Dramaturgie er habe.
In Italien produziert Stein heutzutage zum Beispiel Olivenöl. Und er habe sich dort auch eine Bühne gebaut, da sei er nicht völlig untätig, sagt Stein. Auf bestimmte Dinge ist er im Rückblick nach eigenen Worten stolz, zum Beispiel auf seine Übersetzung der „Orestie“. Oder darauf, dass er so viel Geld für „das geliebte Institut Theater“ zusammengekratzt habe, etwa für die Schaubühne.
An diesem Samstag (1. Oktober) wird Stein nun 85 Jahre alt. Auf die Frage, wie es ihm geht, antwortet er: „Das Alter hat ja den Nachteil, dass man immer noch älter werden kann. Und das ist alles andere als erfreulich.“ Stein spricht von den alten Griechen und von Sophokles. Er erzählt, wie trocken es auf seinem Landgut in Umbrien ist. Die Umweltveränderungen könne man, wenn man auf dem Land lebe, besonders stark beobachten. Etwa auch das Verschwinden von Vögeln. Auch die Oliven hätten zu wenig Wasser und seien ganz klein.