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Puppentheater Der Impresario ist zurück

Mit einem Fest hat das Magdeburger Puppentheater seine 60. Spielzeit eingeläutet. Einer der Höhepunkte ist die Schichtl-Ausstellung.

Von Grit Warnat 08.10.2018, 01:01

Magdeburg l Xaver Schichtl, im Anzug und mit Binder, lächelt leicht in die Kamera. Vor ihm eine Marionette. Die Fäden hält er in der Hand – wie auch in seinem Unternehmen. Das Foto stammt aus der Zeit um 1930. Da war Schichtl (1888–1965) einer der bekanntesten deutschen Puppenspieler. Sitz seines Unternehmens: Magdeburg.

Xaver Schichtl war ein Spross der einst legendären Puppenspielerfamilie Schichtl. Die Großeltern waren schon mit Marionetten unterwegs, Vater Franz schlug ab 1880 auf den Festplätzen in Nord- und Mitteldeutschland seine Zelt- und Holzbauten auf. Xaver tat das in der dritten Generation ebenso. Er agierte von Magdeburg aus. In der Stadt, verkehrstechnisch günstig gelegen, hatte sich der Künstler 1920 mit seinem Familienbetrieb niedergelassen. Fotos in der Ausstellung zeigen die Werkstatt in der Arndtstraße. Regale bis unter die Decke, Lagerräume und Fuhrpark, mit dem die Familie durchs Land reiste.

Der Prinzipal selbst war Puppenspieler, baute Figuren, Bühne, Kulissen. Er war zugleich Buchhalter. Kurator Lars Rebehn, Konservator der Puppentheatersammlung Dresden, nennt Xaver Schichtl eine große Künstlerpersönlichkeit, ein Multitalent. „Er war auch ein äußerst geschäftstüchtiger und umtriebiger Unternehmer“, sagt er und zeigt auf die Vitrine mit den beiden Micky Mäusen, die Schichtl nach Walt Disneys bekannter Figur nachgebaut hatte. „Er hat den Zeitgeist erkannt und darauf reagiert“, sagt Rebehn. Vor allem hat der Wahl-Magdeburger Puppen gebaut, die Kunststücke konnten wie Herr Fo, ein Kugelläufer. Für die Trickmarionette waren fünf Spieler im Einsatz, da auch die Kugel bewegt werden musste. Das sei damals beim Publikum unglaublich gut angekommen, erzählt Rebehn. Schichtl sparte nicht mit Selbstlob. Auf Plakaten warb er mit seinem „größten und vornehmsten Familientheater“.

Herr Fo ist eine der Leihgaben der Stiftung Fritz Fey. Deren Exponate werden eigentlich im TheaterFigurenMuseum Lübeck gezeigt. Da das Haus derzeit umgebaut wird, ergab sich die wunderbare Chance für Magdeburg, zum 60. Geburtstag mit dieser Leihgabe an Schichtl zu erinnern. Ausgestellt ist eine Vielzahl von Varieté- und Trickmarionetten, Bühnennachbauten, Konstruktionszeichnungen und Fotos. Zu sehen sind auch zahlreiche Dokumente wie die „Gutachterliche Empfehlung“ der Beratungsstelle für Schaustellungen in Halle, die im Jahr 1931 der Spielleistung des Schichtl’schen Marionettentheaters ein hohes künstlerisches Niveau bescheinigte und die Bühne den Schulen „aufs Wärmste“ empfahl.

Puppentheater-Intendant Michael Kempchen nennt diese temporäre Heimkehr eine kleine Sensation. Schließlich habe der Impresario mit seinem Varieté- und Marionettentheater die Magdeburger Puppenpiel-Tradition begründet. Vor allem aber gibt die Ausstellung Einblick in die einst große Zeit des Marionettenspiels, als das Kino noch nicht Konkurrenz war und Tausende diese Form der Unterhaltung höchst schätzten. Allein in Sachsen, so weiß Rebehn, habe es zur Jahrhundertwende 150 kleine Marionettentheater gegeben, die zwei Millionen Eintrittskarten verkauften.

Mit der Bombardierung Magdeburgs im Zweiten Weltkrieg verließ Schichtl die zerstörte Stadt. Umso schöner, dass seine Marionetten zur Jubiläumsspielzeit zurückkehren.Meinung