Das Theater der Altmark hat auf altem Fabrikgelände eine Tragödie inszeniert Schauerlicher Haufen zügelloser Weiber
Am Sonntagabend fand auf dem verlassenen und heruntergekommenen Gelände des ehemaligen VEB Ogema in Stendal die Premiere von "Die Besessenen" statt.
Stendal l Eine Produktion des Theaters der Altmark in ungewöhnlicher Kulisse: Dort, wo noch vor gut 20 Jahren Konserven hergestellt wurden, erlebten die Zuschauer nun hautnah die griechische Tragödie nach Euripides.
Dionysos ist heutzutage meist nur als Gott des Weines bekannt. Aber ursprünglich war er viel mehr. Er war der Gott der Fruchtbarkeit und stand somit auch für Lust und unbezähmbare Natur.
Dieser Dionysos kehrt nun mit Anhängerinnen, den sogenannten Bakchen, nach Theben zurück. Er, der seinen Kult erfolgreich bis nach Asien gebracht hat, muss allerdings feststellen, dass der Herrscher Thebens, Pentheus, sich der Vernunft verschrieben hat.
Um zu strafen, verzaubert Dionysos die Frauen der Stadt, so dass sie durch die Wälder und Berge streifen, berauscht und zügellos, ihren Gott orgiastisch feiernd.
Pentheus weigert sich, diesen Gott anzuerkennen. Für ihn kann und muss alles, auch die Natur, eine Ordnung haben. Das wird ihm zum Verhängnis: Die Rache des Dionysos ist schrecklich!
Regisseur Oliver Bierschenk setzt in diesem zweistündigen Stück geschickt die Pause. Im ersten, längeren Teil lässt er diese Tragödie nämlich auch mal komisch sein. Und so zeigt Sören Ergang - als Gehilfe von Pentheus, Hirte oder als blinder Seher Teiresias - einmal mehr seine komödiantische Seite und bringt das Publikum zum Lachen. Vor allen Dingen im Zusammenspiel mit dem ebenfalls großartig komischen Arnim Beutel als betrunkener Alter (Kadmos).
Nach der Pause jedoch ist die Tragödie vollkommen Tragödie. Dionysos (André Vetters) ist ganz der furchteinflößende Gott und Pentheus (wunderbar von Jan Kittmann verkörpert) findet sein schreckliches Ende durch die Hand seiner Mutter Agaue (Claudia Lüftenegger). Die Menschen werden ausnahmslos bestraft: Wie in allen griechischen Tragödien, ist der Kampf gegen höhere Gewalten ein aussichtsloser.
Großartige Leistungen in sehenswertem Schauspiel
Diese Inszenierung von "Die Besessenen" - auch bekannt unter dem Namen "Die Bakchen" - zeigt, dass alte griechische Tragödien sehr wohl auch im 21. Jahrhundert noch Unterhaltungswert haben.
Oliver Bierschenk hat mit den Dramaturgen Sascha Löschner und Aud Merkel ein kurzweiliges Theatererlebnis geschaffen. Ausstatter Christopher Melching verwandelte das ehemalige Betriebsgelände in eine Spielstätte und Sofia Mazzoni entwarf die Kostüme.
Besonders bei den Bakchen traf sie dabei ins Schwarze. Herausgekommen ist ein wahrlich schauerlich-schöner und wilder Haufen von zügellosen Weibern. Sie bilden den antiken Sprechchor, der in keiner Tragödie fehlen darf.
Dieser Chor setzt sich aus vielen Laiendarstellerinnen zusammen. Angeführt von Schauspielerin Claudia Tost leisten sie wirklich Großartiges in einem absolut sehenswerten Schauspiel!
Weitere Aufführungstermine: Sonntag, 17.6., und Freitag, 22.6., jeweils ab 20.30 auf dem Ogema-Gelände an der Arneburger Straße.