Wortkünstler Thomas Brasch Schmerz und Stolz
Der 2001 verstorbene Thomas Brasch schrieb großartige Gedichte, er
übersetzte nicht minder gut. Theatermann Claus Peymann baute auf ihn.
Heute ist Brasch fast in Vergessenheit geraten. Seine Schwester Marion
erinnert mit einem Programm an den Bruder, den Dichter, den Rebellen.
Sie ist am 9. Juni zu Gast in Magdeburg.
Magdeburg l Thomas Brasch wäre in diesem Jahr 70 Jahre alt geworden. Mit seinem Namen wie auch mit dem seines Mentors Heiner Müller können viele nichts mehr anfangen. Eine Erklärung dafür hat seine Schwester Marion Brasch nicht. "Seine Gedichte sind so intensiv, so kraftvoll und im Benennen von Widersprüchen so unglaublich heutig."
Die in Berlin lebende Autorin und Journalistin entwickelte einen Abend für ihren Bruder. "Es geht um seine Gedichte, seine Texte und um den Menschen hinter diesen geschriebenen Zeilen."
Wie in ihrem Roman "Ab jetzt ist Ruhe" über die eigene Familie - der Vater war zu DDR-Zeiten stellvertretender Kulturminister, ihre drei Brüder Schriftsteller und Schauspieler, die gegen den Funktionärsvater rebellierten - blickt sie auch in ihrem Erinnerungsprogramm von außen auf ihren Bruder Thomas und sein Leben. Wer war dieser Mann, was ging ihm durch den Kopf, was hat er erlebt?
Thomas Braschs Leben ist von starken Brüchen gekennzeichnet. 1945 als Sohn jüdischer Emigranten im englischen Exil geboren, kam die Familie 1947 nach Ostdeutschland. Mit 11 Jahren musste er auf die Kadettenschule in Naumburg, der Aufenthalt wird ein ewiges Trauma bleiben. Flugblattaktion gegen den Einmarsch der Russen in die Tschechoslowakei, Verhaftung, Verurteilung, Bewährung in der Produktion, die er in seinem bekanntesten Buch "Vor den Vätern sterben die Söhne" thematisiert hat. Später Proteste zur Biermann-Ausbürgerung.
1976 verließ Brasch gemeinsam mit seiner Freundin Katharina Thalbach die DDR. Marion Brasch: "Er ging nicht aus Begeisterung, er wollte arbeiten, schreiben." Auch zum kapitalistischen Staat hatte Brasch ein schwieriges Verhältnis. Er hielt die Idee des Sozialismus im östlichen Teil Deutschlands für die bessere Idee. Er sah sich nicht als der von West-Journalisten begrüßte Dissident. Er hat gesagt: Im Osten habe ich mir den Kopf wund geschlagen an Mauern, im Westen sind diese Mauern aus Gummi.
Er war - kaputt durch Alkohol, Drogen, Arbeit - nirgends angekommen, erst recht nicht im vereinten Deutschland. Dafür steht der Satz aus einem seiner Gedichte: "Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin".
Mit diesem Zitat ist der Abend überschrieben. Marion Brasch: "Es gibt Texte von ihm und über ihn, aber auch Stasiprotokolle, Filmausschnitte, Material, das ihn dreidimensional macht." Den Texte-Film-Gesprächs-Abend gab es bereits in Leipzig und in Halle. Am 9. Juni kommt die Berlinerin gemeinsam mit dem Schauspieler Andreas Keller ins Magdeburger Forum Gestaltung.
Marion Brasch freue sich auf die Veranstaltung, sagt sie. Ist das Erinnern nicht schmerzhaft? "Durch die Beschäftigung mit meinem Bruder entdecke ich ihn neu. Ich werde zum Fan. Neben dem Schmerz, dass meine Brüder nicht mehr leben, empfinde ich Stolz auf Thomas - bei aller Widersprüchlichkeit, bei seiner Verzweiflung, seinen Grenzen, an die er stieß. Seine Texte sind im Hier und Heute."
"Bleiben will ich, wo ich nie gewesen bin", Brasch-Abend am 9. Juni im Forum Gestaltung, Brandenburger Straße 10, Magdeburg, Beginn 20 Uhr