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Theater der Altmark Spannung bis zur letzten Minute

"Zwölf heißt: ich liebe dich" feierte am Theater der Altmark Stendal seine Uraufführung.

Von Birgit Tyllack 31.10.2016, 23:01

Stendal l Christiane arbeitet in der Gedenkstätte Hohenschönhausen, der ehemaligen Untersuchungshaftanstalt des Ministeriums für Staatssicherheit. Sie, die Anfang der 80er Jahre selbst hier eingesessen hat, führt nun Besucher durch die Räumlichkeiten. Eines Tages wird ihr gekündigt. Sie sei nicht mehr tragbar. Der Grund: Sie liebt einen ehemaligen MfS-Mitarbeiter. Jens heißt er. Und er war der Stasi-Offizier, der sie damals acht Monate lang verhört hat.

Was sich wie eine Kintopp-Geschichte anhört, hat sich tatsächlich so oder so ähnlich abgespielt. Regina Kaiser und Uwe Karlstedt – wie die beiden Protagonisten im wirklichen Leben heißen – haben ihre Geschichte veröffentlicht, Jahre später wurde sie verfilmt. Nun hat Jochen Gehle ein Theaterstück daraus gemacht. Am Freitag feierte „Zwölf heißt: Ich liebe dich“ im Theater der Altmark die Uraufführung. Mit großem Erfolg.

Regisseur Yaron Goldstein hat diese unerhörte Liebesgeschichte zwischen einer Dissidentin und einem Stasi-Offizier eindrucksvoll, aber wohltuend unspektakulär auf die Bühne des Kleinen Hauses in Stendal gebracht. Das Bühnenbild von Sofia Mazzoni ist spartanisch-karg, an die Ausstattung eines Gefängnisses erinnernd. Auf der einen Seite der Bühne eine Pritsche und Waschtisch, auf der anderen der Schreibtisch, an dem die Verhöre stattfinden. In der Mitte ein weiterer Schreibtisch: Der von Hanna, Jens‘ Tochter aus erster Ehe. (gespielt von Michaela Maxi Schulz). Sie ist Anwältin und soll gegen die ungerechtfertigte Kündigung angehen. Christina und Jens erzählen ihr ihre Geschichte. Hannas Schreibtisch ist der Dreh- und Angelpunkt zwischen damals und heute. Ton und Licht sind leicht unangenehm, verstörend.

Christiane und Jens gibt es zweimal: einmal die von 1981 (gespielt von Carolin Wieden­bröker und Carsten Faseler) und die 16 Jahre älteren (gespielt von Michaela Fent und Jochen Gehle). Manchmal vermischen sich die Grenzen zwischen Vergangenheit und heute. Dann stehen die älteren neben ihren jüngeren Ichs, kommentieren oder flüstern Anweisungen ins Ohr.

„Zwölf heißt: Ich liebe dich“ setzt sich recht schonungslos mit dem Thema Opfer-Täter-Beziehung auseinander. Christina ist viel zu intelligent, als dass sie nicht wüsste, dass Menschen sich in Isolationshaft an die einzige Person klammern, die sie regelmäßig sehen. So sei das nicht gewesen bei ihr: Es sei Liebe auf den ersten Blick gewesen. Eine Empfindung, die auch Jens so teilt. „Wir kannten uns, bevor es uns gab“, sagt er.

Nun, Jahre später, da sie sich wiedergefunden haben, will Christina nicht, dass er sich Asche aufs Haupt streut. Jens: „Sie will, dass ich verstehe!“ Wiedenbröker und Faseler sind sehr überzeugend: Da ist diese ungläubige Verwirrtheit, dieses vorsichtige Zueinander-Hingezogen-Fühlen. Kleine Blicke, kurze Berührungen, immer wieder ein In-sich-Zurückziehen.

Gehle und Fent als die älteren Protagonisten sind ebenfalls wunderbar. Gehle gibt seinem Jens eine gewisse Härte, beseelt vom Gedanken, Christina zum Recht zu verhelfen. Dabei ist er ganz nüchtern in der Betrachtung seiner Vergangenheit: „Die Vergangenheit ist nicht änderbar. Aber unsere Liebe basiert nicht auf Vergangenheit.“

Schauspielerin Michaela Fent spielt ihre Christina stark und hoffnungsvoll auf der einen Seite, verletzt und nachdenklich auf der anderen Seite. Sie offenbart den Drahtseilakt, die dieser Charakter zu bewältigen hat. Da ist zum einen das Trauma der Inhaftierung unter unmenschlichen Bedingungen. Und eben die Liebe zu dem Menschen, der daran Mitschuld trägt.

80 Minuten lang agieren die Schauspieler auf der Bühne. Die Spannung hält vom ersten Moment bis zur letzten Sekunde. Ein großartiges Schauspiel.