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Stadt als Labor Wolfsburg ungeschönt

Bilder weit weg von jeder Imagekampagne. Wolfsburg - eine Stadt ohne hübsche Fassaden und deshalb echt, meint das Kunstmuseum Wolfsburg.

Von Rebecca Kritzak 21.04.2016, 23:01

Wolfsburg (dpa) l Kann man eine Stadt im Museum ausstellen? Und was, wenn die ausgestellte Stadt gerade möglicherweise dabei ist, sich rasant zu verändern?

Der neue Museumsdirektor des Kunstmuseums Wolfsburg, Ralf Beil, hat mit seiner ersten großen Ausstellung am neuen Arbeitsplatz diesen Versuch unternommen. Er fragte sich und sieben internationale Künstler: Was ist eine Stadt und was macht sie aus? Das Ergebnis zeigt „Wolfsburg unlimited. Eine Stadt als Weltlabor“ ab Sonntag bis zum 11. September.

Wolfsburg rückt dabei zwar in den Mittelpunkt. Dennoch soll die Stadt nur exemplarisch für andere Orte in Deutschland stehen. „Deutschland bündelt sich hier in Wolfsburg wie im Brennglas“, meint Beil. Als Musterstadt des Wirtschaftswunders, der Wirtschaftskrise und als heutige selbst ernannte Eventcity. Beils These: Die Stadt wird erst in Wolfsburg wirklich kenntlich – gerade weil die schöne Fassade fehlt.

Zum ersten Mal wird das gesamte Museum zum Ausstellungsort. Vom Foyer über den Japan-Garten bis zur 16 Meter hohen Ausstellungshalle wird alles bespielt. Los geht es in der „Hall of Fame“, in der unter anderem Heinrich Hoffmann von Fallersleben gewürdigt wird, der in Wolfsburg die Zeilen der heutigen Nationalhymne schrieb.

Dass es zwischen „Hall of Fame“ und „Hall of Shame“ (Halle der Schande) sowohl in der Ausstellung als auch im echten Leben nur ein Schritt ist, zeigt sich direkt daneben: Wolfsburg als Musterstadt der Nationalsozialisten.

Auch das jüngste Kapitel der Stadt kommt nicht zu kurz: Der Abgasskandal. „Wir haben es hier immer mit der Grenze VW und Nicht-VW zu tun“, sagt Beil über die teils schwierige Trennung von Stadt und Konzern. Ein Video zeigt das Statement des Ex-VW-Chefs Martin Winterkorn zur Abgaskrise. Ein Video im Stil Nordkoreas, wie Museumsdirektor Beil zur grauen, steifen Aufmachung anmerkt.

Auch Künstler Julian Rosefeldt hat sich kritisch mit der Zukunft der VW-Stadt auseinandergesetzt. Seine Installation „Midwest“ ist ein heruntergekommenes Autokino. Meterhoch ragen die Hafencontainer in der Halle nach oben. Durch den kaputten Beton auf dem Boden wächst Unkraut und wuchert zwischen den herumstehenden Autos. Auf der Leinwand läuft ein von ihm gedrehter Gangster-Kurzfilm. Die Autos in dem Film fahren vor und zurück – und kommen doch nicht von der Stelle.

Ob „Midwest“ im Mittleren Westen der USA oder Deutschlands liegt, lässt Rosefeldt offen. „Ich war zweimal in Detroit und habe dort viele Analogien zu Wolfsburg seit der Krise gesehen“, sagt er. Und Beil ergänzt: „Wir wollen die Realität hier reinholen, mit all ihrem Schmutz.“

Um die Realität ging es auch Fotokünstlerin Eva Leitolf. Bei acht Aufenthalten in Wolfsburg hat sie Schwarz-Weiß-Aufnahmen gemacht, die sich bewusst von den sonst so bunten Imagebildern der Stadt abheben. Wäre Leitolf dem Rat ihres neunjährigen Sohns gefolgt, hätte sie den Auftrag allerdings nie beendet. Bei einem gemeinsamen Besuch der Stadt riet der nämlich seiner Mutter: „Du musst dem Mann vom Museum sagen, du kannst das nicht machen. Das ist zu hässlich hier.“ Zum Glück hat Leitolf trotzdem weitergemacht.