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Theater Was ist das für ein Leben ...

Dem Stück "Die Letzten" von Maxim Gorki kann man sich nicht entziehen. Es war die Premiere im Magdeburger Schauspielhaus.

Von Rolf-Dietmar Schmidt 24.02.2019, 23:01

Magdeburg l Kurz vor Weihnachten 1951, da war das damalige Maxim-Gorki-Theater gerade ein Jahr alt, gab es in Magdeburg anlässlich Stalins Geburtstag eine DDR-Erstaufführung des Stücks. Es passte perfekt zum Anlass. „Die Letzten“, so die Lesart, das sind die Letzten, die in einer Gesellschaftsform des parasitären, alles dem Profit untergeordneten, dem Untergang geweihten kapitalistisch-imperialistischen Systems ihrer Menschlichkeit beraubt werden. Was ist das für ein Leben?

Und genau diese Frage stellt 68 Jahre später das Drama in der Regie von Milan Peschel erneut. Was hat sich seither verändert?

In dem Drei-Stunden-Stück wird dem Zuschauer einiges abverlangt, vor allem aber den Schauspielern. Sie haben kaum die Chance, sich tief in eine Rolle zu versetzen, weil sie von einem auf den anderen Moment nicht selten das Genre wechseln müssen. Sie springen aus einer ergreifend-dramatischen Szene in eine fast comedyhafte Rolle, um kurz darauf wieder ganz bei Maxim Gorki zu sein. Ein Wechselbad der Empfindungen, was auch für den Zuschauer alles andere als bequem ist.

Eine großartige Ensemble-Leistung. Da ist die Frau Sokolowa, manchmal auch als Barfüßler oder Erzählerin unterwegs, die, von Susi Wirth gespielt, mit ihrer markanten Stimme und einer unglaublich ausdrucksstarken Körpersprache als Mutter zu einer moralischen Instanz wird. Sie kämpft um ihren unschuldigen Sohn, der als angeblicher Attentäter und Revolutionär verurteilt werden soll. Er habe auf den ehemaligen Gutsbesitzer und Polizeimeister Iwan Kolomijzew (Zlatko Maltar) geschossen.

Nicht minder präsent sind Antonia Schirmeister als Sofja, die Frau des Polizeimeisters, oder Carmen Steinert als Ljubow, das Mädchen mit dem Buckel, das als Baby von seiem vermeintlichen Vater Iwan die Treppe hinuntergeworfen wurde. Thomas Schneider ist die Rolle des zweiten Barfüßlers oder Erzählers Fedossja im wahrsten Sinn des Wortes auf den Leib geschrieben.

Maxim Gorki mit seinem Stück „Die Letzten“ im Sinne des Herunterbrechens gesellschaftlicher Verhältnisse zu interpretieren, die in der Familie als der kleinsten Zelle der Gesellschaft kulminieren und diese wie ein langsames Gift zersetzen, ist sicher richtig. Ihn aber allein darauf zu reduzieren, hieße, ihm nicht gerecht zu werden. Seine tiefen nihilistischen Überzeugungen richteten sich durchaus nicht nur auf politische Ordnungen, sondern auch auf die Art des Umgangs der Menschen untereinander, als „der Dreck, der Schmutz und Abschaum, voller Egoismus, Gier und Machtstreben“. „Innerlich haltlos, verbraucht und zerschlagen, liebäugelt er bald mit dem Sozialismus, bald schmeichelt er dem Kapital, doch das Vorgefühl des nahen sozialen Untergangs zerstört das winzige, rachitische ‚Ich‘ noch schneller.“ (Gorki)

Regisseur Milan Peschel stellt vermutlich bewusst Gorkis Nihilismus der menschlichen Persönlichkeit in den Mittelpunkt seiner Inszenierung. Die politischen Verhältnisse sind allenfalls Katalysatoren für die ekstatischen Ausbrüche, die in ihrer Fülle dann hier und da doch ermüden. Da wäre weniger sicher mehr gewesen.

Auch die nicht immer dramaturgisch nachvollziehbaren Ausflüge in die Moderne, wenn beispielsweise mit einem Staubsauger und seinen Tücken „gekämpft“ wird, Musik aus dem 20. Jahrhundert erklingt oder Thomas Schneider Höhepunkte seiner beachtenswerten Schauspielerkarriere samt dem entdeckten Wolf in Buckau kolportiert, hinterlassen den Zuschauer dann doch eher ratlos.

Vielleicht ist das aber mit dem allzu oft irrationalen Verhalten der Menschen untereinander erklärbar. Da gibt es schließlich auch keine logische Dramaturgie, eben wie im richtigen Leben.

Und doch endet das Stück auf der kargen, mit einem Holzhaus versehenen Bühne, mit einem an das Publikum gerichteten Appell. Man solle sich umarmen, das Trennende vergessen, und vor allem den Kindern auf ihrem Lebensweg alles mitgeben, was sie befähige, ein sinnerfülltes Dasein zu gestalten.

Da war sie dann wieder, die stille Hoffnung des nihilistischen Gorki, vielleicht doch den Funken der Erkenntnis in den Köpfen anzuzünden.

Fazit: Eine streitbare Gorki-Inszenierung, in der vermutlich nicht allzu viel vom Original enthalten, die aber absolut sehenswert ist.