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14. Schönebecker Operettensommer am Sonnabend eröffnet Turbulentes "Pariser Leben" mit ganz besonderer Würze

Von Liane Bornholdt 28.06.2010, 05:20

Jacques Offenbachs Operette "Pariser Leben" entstand 1866, ein Jahr vor der Pariser Weltausstellung. Aus dem bunten Leben der Gäste aus aller Welt schöpften Henri Meilhac und Ludovic Halévy die Ideen zum turbulenten und frechen Libretto "La Vie Parisienne". Das Stück war sogleich ein großer Erfolg und blieb es bis heute. Thomas Enzinger inszenierte mit "Pariser Leben" seine 14. Operette auf dem Bierer Berg.

Schönebeck. In Paris erscheinen Gäste aus aller Herren Länder. Gelegenheit für Offenbach und seine Librettisten, den Zusammenprall der Kulturen zum musikalischen Bühnespaß zu machen. Dabei nutzt Offenbach vor allem den Cancan, den die Mitteldeutsche Kammerphilharmonie Schönebeck unter der musikalischen Leitung von GMD Christian Simonis bereits in der Ouvertüre erklingen lässt.

Der Tanz ist ursprünglich ein Import aus Algerien, wurde aber Mitte des 19. Jahrhunderts zum aufregend-frivolen Bühnentanz in den Varietés und Cabarets von Paris und zeitweilig wegen seiner spektakulären Offenheit polizeilich verboten.

Vor allem mit der Musik zu "Pariser Leben" wurde der Tanz zum Inbegriff französischer Lebensart und -lust in ganz Europa.

Auf dem Bierer Berg begegnet dem Publikum Paris bereits sehr spritzig aus dem Orchester und auf der Bühne, die wie in den vergangenen Produktionen auch von Toto gestaltet wurde, liegt die Stadt ausgebreitet als Stadtplan, in dessen Mitte sich die berühmte Metropolitan-Bahnstation befindet. Der Clochard (wunderbar von Katharina Kutil, die nachher die Madame Quimper-Karadec zu sehr kräftigem Leben verhelfen wird) kommt mit seinem Handwagen und preist Eiffeltürme, echte Mona Lisas und Triumphbögen als Souvenirs an.

Die Handlung wird von den beiden Freunden und Taugenichtsen Raoul von Gardefeu (Michael Zabanoff) und Bobinet (Thomas Burger) in Gang gesetzt. Die beiden suchen nach weiblichen Eroberungen aus der "besseren Gesellschaft". Da kommt ihnen die Ankunft von Baron und Baronin von Gondremark aus Schweden gerade recht, denen sie sich als Pariser Stadtführer andienen.

Nun kann die beste Verwirrung stattfinden, denn jetzt müssen die einfachen Leute, die Dienerschaft sowie Handschuhmacherin Gabriele (Gabriele Rösel) und Schumacher Frick (Kim Schrader) sich verkleiden und die feine Pariser Gesellschaft geben. Dies alles gelingt nur deshalb, weil sich die echten Feinen in dieser Pariser Umgebung so wohl fühlen, dass ihnen alle Höflichkeit abhanden kommt.

Viel Turbulenz im ganzen Spiel

Die betrifft vor allem den Baron von Gondremark, den Alexander Klinger ganz wunderbar spielt und singt. Er ist sehr korrekt zu Beginn, selbstsicher und stilbewusst, und lässt nach und nach seine Steifheit fahren, bis er beim Abendessen im Hause von Bobinet inmitten der verkleideten Dienerschaft den Cancan anführt und sich hemmungslos vergnügt und betrinkt.

Ihm sind wunderbare spielerische Höhepunkte gelungen, schwungvoll wunderbare Lieder in abenteuerlichen Posen, so dass er zum absoluten Star der ganzen Inszenierung wurde.

Oder war es doch die Baronin, die Einzige, die ihren Stil einigermaßen bewahrte? Jule Rosalie Vortisch verbringt den Abend in der Italienischen Oper, singt hervorragende La- Traviata-Zitate und lässt den armen Gardefeu so gar nicht zum Zuge kommen. Vielleicht hätte er sie doch noch erobert, wenn nicht die ältliche, sehr beleibte und sehr lebenslustige Tante alias Katharina Kutil erschiene und den ganzen Schwindel auffliegen lassen würde.

Allen gelingt wirkliche Turbulenz im Spiel (Choreografie Nadezda Semechukowa), ausgezeichneter Gesang dazu, und Thomas Enzinger hat wieder einmal so viele wunderbare, wirklich lustige Regieeinfälle gehabt, die jeder Situation, auch den romantischen, die es wie in jeder ordentlichen Operette auch gibt, immer die besondere Würze geben.

Ein wunderbares Tigerauto kutschiert die Baronin, der Brasilianer kommt mit einer Dampflok auf die Bühne – es ist Weltausstellung – französische Käsesorten spielen mit und und und …

Alle diese Würze aber würde nicht wirken, wenn nicht aus dem Orchestergraben die Musik immer fein differenziert, mit passendem Schwung, mit schönen, auch wechselnden Tempi und farbigem Klang ertönen würde. Es war eine glanzvolle, sehr schöne Premiere für die 14. Schönebecker Operette.