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Uraufführung Größenwahn im Magdeburger Puppentheater

Die Uraufführung von "König Kolossal" am Magdeburger Puppentheater berührt Jung und Alt.

Von Kathrin Singer 14.10.2019, 23:01

Magdeburg l Ein Publikumsliebling wird er zunächst sicher nicht, der kleine rundliche König Kolossal, der mit seinen Allüren seine zahlreiche Dienerschaft auf Trab hält und trotz seines freundlichen Aussehens ein von Angst und Schrecken geprägtes Regime führt. Denn König Kolossal will von allem das Größte: die größte Zahnbürste der Welt, die größte Schokoladentafel, das größte Bett und selbstredend den größten Burger der Welt.

Dass so viel Größe zuweilen sehr unpraktisch sein kann, weil man mit dem größten und damit unhandlichsten Besteck der Welt eher am Verhungern ist, sich mit viel Schokolade und Riesenzahnbürste auch die größten Karieslöcher der Welt einhandelt, es mangels Bäumen, die für das größte Bett der Welt gefällt werden mussten, keine Vögel mehr gibt, die man fangen könnte - den König schert es nicht, denn er ist der Bestimmer und hat demzufolge immer Recht.

Um ihn herum ein Hofstaat, der einen solchen Größenwahn genau genommen erst möglich macht: eine ganze Schar Diener im vorauseilenden Gehorsam, die jeden noch so unsinnigen Wunsch des Herrschers umsetzt. Nur die Natur – ein dicker Wal und eine kleine Tulpe – spielt dieses Machtspiel nicht mit und setzt sich gegen den Größenwahn durch – was für ein aktuelles, sinnreiches Bild.

Der dänische Regisseur Nis Søgaard, der aktuell für seine Arbeit im Bereich des Kinder- und Jugendtheaters für den renommierten Deutschen Theaterpreis DER FAUST 2019 nominiert worden ist, hat mit Lennart Morgenstern einen Puppenspieler, der virtuos in seinem Reich voller überdimensionaler Bauklötze regiert. Als leibhaftiger König Kolossal mit an einen leibhaftigen Präsidenten erinnernden karottenfarbenem Kopfputz - führt er einen Doppelgänger en miniature nebst zahlreicher Dienerschaft.

Dieser blitzschnelle Perspektivenwechsel ermöglicht fast filmschnittartige Szenenwechsel, die die enormen Größenunterschiede noch einmal besonders unterstreichen. Die aus Kunststoff bestehenden, einem 3-D-Drucker entsprungenen Figuren (Entwurf und Konstruktion: Jana Barthel und Jana Browatzki) erinnern an Holzgliederpuppen. Sie sind mit viel Liebe zum Detail gestaltet und lassen sich per Klickmechanismus je nach Wahl zum ersten Berater befördern oder bei Bedarf auch eben mal köpfen.

Lennart Morgenstern belebt als Einzelspieler einen ganzen Kosmos an Figuren, überzeugt mit seiner wandelbaren Stimme und schmissigen Songs als hinreißender Spielmacher.

Nis Søgaards Geschichte, die auf einem Kinderbuch des japanischen Illustrators Mitsumasa Anno beruht, berührt auf ganz eigene Weise. Denn während König Kolossals unfassbar törichte Entscheidungen zumindest aus abgeklärter Erwachsenensicht auf ein schlimmes Ende hindeuten, überrascht die kleine gelbe Tulpe, die am Ende aus dem natürlich größten Blumentopf der Welt wächst. Selbst König Kolossal ist zum ersten Mal überwältigt von der Kraft kleiner Dinge. Und das lässt selbst große Leute hoffen.