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Kurz vor dem 75. Geburtstag des Liedermachers ist eine DVD mit dem legendären "Köln-Konzert" erschienen Wolf Biermann: Das verlorene Kind der DDR

12.11.2011, 04:28

Wolf Biermann ist einer der bedeutendsten Liedermacher in Deutschland und eine Symbolfigur der Oppositionsbewegung in der DDR. Am Dienstag feiert der Berliner Ehrenbürger seinen 75. Geburtstag

Berlin (dpa) l Wolf Biermann starb als junger Mann "tagtäglich am Liebeskummer mit dem Kommunismus", wie er es später in gewohnt ironisch-bissiger Manier ausdrückte. Bis sein "erster deutscher Arbeiter- und Bauernstaat" die Liebe nicht mehr erwiderte und den "proletarischen Orpheus" am 16. November 1976 wegen "feindseligen Auftretens" gegen die DDR aus dem ostdeutschen Teilstaat rausschmiss, vor nunmehr 35 Jahren.

Danach begann das zweite Leben des Liedermachers und späteren Berliner Ehrenbürgers Wolf Biermann, der am 15. November 75 Jahre alt wird, aber immer weiter singt und dichtet oder nachdichtet.

"Nur wer sich ändert, bleibt sich treu"

Manche seiner Liederzeilen sind längst zu geflügelten Worten geworden wie "Nur wer sich ändert, bleibt sich treu" oder "Warte nicht auf bessere Zeiten". Gerade ist sein neuester Band "Fliegen mit fremden Federn" erschienen sowie die CD "In diesem Lande leben wir ..." mit Solo- und Choraufnahmen und als einzigartiges Zeitdokument eine DVD mit dem legendären Biermann-Konzert vom 13. November 1976 in Köln, das die SED-Führung unter Erich Honecker zum Anlass für die Ausbürgerung Biermanns aus der DDR nahm. Es war für den 1953 aus Hamburg in die DDR übergesiedelten Liedermacher auch ein persönlicher Schock. "Es war aus mit mir, ich habe keine Zukunft mehr gesehen, ich wusste nicht mehr, was ich machen soll", erinnert sich Biermann in einem Gespräch mit der Nachrichtenagentur dpa. Er stand vor dem Nichts. "Meine Lieder aus jener Zeit spiegelten das auch wider", meint Biermann, "hochbegabt und vollkommen wertlos".

Aber dann erwachte auch der Trotz und seine alte Kämpfernatur: "Ich durfte doch aus treuem Hass zu meinen alten Feinden in der DDR nicht kaputtgehen, denn dann hätten sie triumphiert und den aufmüpfigen jungen Menschen in der DDR gesagt: Guck mal, du kleines Arschloch, der große Biermann, wo ist der denn? Den gibt\'s gar nicht mehr. Wenn es dem schon so geht, was meinst du denn, was dir erst blühen wird, wenn du nicht kuschst?."

Biermann hatte 1962 mit seinem Gedicht "An die alten Genossen" in der Ost-Berliner Akademie der Künste für einen Eklat gesorgt und seit 1965 quasi Berufsverbot. Dann sang er 1976 in Köln von den SED-Genossen, den "Mümmelgreisen", die in Wandlitz "in einem Getto hinter Stacheldraht und Mauern wohnen". Das war zu viel.

Es folgten Ausschlüsse und intellektuelles Ausbluten

Doch die DDR hatte bei der Ausbürgerung Biermanns die Rechnung ohne den berühmten Wirt gemacht. Ein Sturm der Entrüstung im eigenen Land brach los, selbst unter den prominentesten Künstlern und Schriftstellern wie Christa Wolf, Stefan Heym, Armin Mueller-Stahl und Manfred Krug.

Es folgten Einschüchterungen, Gefängnis, Ausschlüsse und ein intellektuelles Ausbluten der DDR in Richtung Westen. Künftig gab es in der DDR eine neue Zeitrechnung: "Vor Biermann und nach Biermann".

Aber "nicht der Rausschmiss des kleinen Biermann war es", wie der Liedermacher rückblickend meint, sondern es waren die Proteste, wie sie die SED-Bonzen in dieser geballten Ladung zwar im Westen, aber doch nicht im eigenen Land erwartet hatten. "Sie waren der Zündfunken, mit dem sie nicht gerechnet hatten, niemand, ich auch nicht. Ich war doch um keinen Deut klüger als meine Unterdrücker, dazu reichte meine politische Fantasie nicht aus. Ich war ja auch immer davon ausgegangen, dass die DDR länger existieren wird als der kleine Biermann."

Im Westen wurde der Liedermacher aber keineswegs überall mit offenen Armen empfangen, doch er konnte aus seinen Schmerzen wieder Lieder machen. Es entstanden erneut zahlreiche Lyrik- und Prosabände Biermanns, der schon zuvor mit etlichen Büchern und Schallplatten von sich reden gemacht hatte. Für sein Schaffen erhielt er neben Georg-Büchner- und Heinrich-Heine-Preis auch den Deutschen Nationalpreis.

Bei der Verleihung des Bundesverdienstkreuzes zum 70. Geburtstag nannte der damalige Bundespräsident Horst Köhler Biermann einen "politischen Entertainer mit Mut zu starken Meinungen und heftigen Irrtümern, solche Stimmen braucht unser Land". Biermann dankte damals den vielen "tapferen Namenlosen" in der DDR-Opposition, ohne sie hätte er gegen das "totalitäre Pack" keine Chance gehabt.

Das hochpolitische Kapitel im Leben des Wolf Biermann mag der Vergangenheit angehören. Geblieben ist ein ebenso kraft- wie gefühlvoller Sänger und Dichter über Liebe, Leid und deutsche Zustände in bester Tradition seines großen Vorbilds Heinrich Heine.