Bachs h-Moll-Messe in der Magdeburger Pauluskirche Wunderbare Musik, die nach dem Innersten greift
Schöner Barock. Der Magdeburger Kantatenchor bringt mit der h-Moll- Messe von Johann Sebastian Bach ein Leuchten in die Gesichter der Zuhörer.
Magdeburg l Ein Wunder, so will es dem Zuhörer jedes Mal aufs Neue scheinen, dass jemand diese Musik überhaupt geschrieben hat: Bachs h-Moll-Messe entfaltete unter dem Dirigat von Kantor Tobias Börngen am Sonnabend in der Pauluskirche ihre wunderbare Wirkung.
Ist der Zuhörer auch gerade erst dem städtischen Vorfeiertagsstress entronnen, diese Musik greift sofort nach seinem Innersten. Es geht ums Ganze, Leben, Tod und Auferstehung. Das "größte musikalische Kunstwerk aller Zeiten und Völker" hat Bachs Verleger Hans-Georg Nägeli die Komposition anlässlich der Erstveröffentlichung 1818, erst 68 Jahre nach dem Tod des Thomaskantors, genannt.
25 Jahre für die eigene Zufriedenheit gebraucht
25 Jahre hat der zu Lebenszeiten weniger für seine Kompositionskunst als für seine Orgelkenntnisse bekannte Meister gebraucht, alle Teile der einer festlichen Gottesdienstordnung folgenden Messe zur eigenen Zufriedenheit zusammenzubringen. Bach selbst hat sein Werk nie vollständig gehört. Zumindest ist dies nicht verzeichnet. Welch ein Glück für die Nachgeborenen, in diesem Fall die rund 500 Besucher der Pauluskirche in Magdeburg, dem Urheber dieser Musik diese Erfahrung voraus haben zu dürfen!
Unter der ebenso eindeutigen wie einfühlsamen Führung seines Chorleiters gelang es dem Magdeburger Kantatenchor den inhaltlich wie technisch anspruchsvollen Stoff zum Leuchten zu bringen. Begleitet und angefeuert wurden die Chorsänger bei ihrem Marsch auf den "Mount Everest der chorsinfonischen Literatur" - so Tobias Börngen in einer internen Ansprache - von vier aussagekräftigen Solisten: Neben der ausgewiesenen und international renommierten Bachspezialistin aus Leipzig, Susanne Krumbiegel, die neben dem Alt gleich noch den zweiten Sopran mit ihrer großartigen, dem Wesentlichen Raum gebenden Stimme übernahm, überzeugten Stefanie Fels (Sopran), Peter Diebschlag (Tenor) und Stephan Heinemann (Bass).
Getragen und inspiriert von einer hellwach und blitzgescheit auf historischen Instrumenten musizierenden Cammermusik Potsdam, künstlerische Leitung Wolfgang Hasleder. Ohrenfällig wurde hier durchgängig Sinn für die Feinheit der musikalischen Konstruktionen Bachs bewiesen, der manches selbst Geschriebene mehrfach verwarf, zum Beispiel den Vokalsatz "Et incarnatus". Beschrieben wird hier der mystische Moment, in dem Maria Jesus empfängt. Den Akteuren gelang es, die beeindruckend moderne Klangführung mit bezwingender Schlichtheit wiederzugegeben.
Die ganze emotionale Spannbreite des Universums
Im Geheimnis der Freude liegt schon vorausgeahnt der Schmerz über das, was mit atemberaubender Selbstverständlichkeit unmittelbar folgt: das "Crucixus", der Kreuzestod Christi, in dem die Erlösung des Menschen begründet liegt.
Die ganze emotionale Spannbreite des christlich geprägten Universums lotet diese Musik perlend aus, vergegenwärtigt einen Moment, in dem die Endlichkeit des Lebens spürbar wird, auch des eigenen. Der Rückzug alles Lebendigen bis in die Wurzeln, unter die Erde, wie die Natur ihn jetzt wieder vormacht, das Ausharren bis zum nächsten Frühjahr und alles kann von Neuem begin- nen.
Sich dem Größeren hinzugeben, mit Schmerzpunkten im eigenen Leben zu versöhnen, solches Erleben schreibt diese Musik in die Gesichter der Zuhörer, die hier für zweieinhalb Stunden zu einer emotionalen Gemeinschaft werden. Chor, Solisten, Orchester und Dirigent gelingt es, die in kunstvollen harmonischen Entsprechungen und Kontrapunkten sich äußernden Klänge zu einem großen Ganzen zusammenzufügen.
Da wird es ganz hell - nicht nur im Innern der Pauluskirche. Und der Zuhörer geht verändert durchs Dunkel nach Hause.