Wuppertal ehrt Bildhauer Tony Cragg mit Retrospektive
Für den Bildhauer Tony Cragg räumt ein Museum seine ganzen Säle leer. Nun stehen dort Objekte aus Bronze, Holz, Glas und Plastik. Die Kunst ins Museum zu bekommen, hat vielen Helfern den Schweiß auf die Stirn getrieben.
Wuppertal (dpa) - Dass ein Bildhauer ein Museum komplett mit allen Sälen zur Verfügung bekommt und sich austoben darf, ist selten der Fall.
Das Von der Heydt-Museum in Wuppertal machte es für den britischen Künstler Tony Cragg (67) möglich. Schließlich hält der Documenta-Teilnehmer und Turner-Preisträger seiner Wahlheimat Wuppertal seit 40 Jahren die Treue.
Sämtliche Klassiker des Impressionismus und Expressionismus kamen ins Depot, alles, was nicht niet- und nagelfest war, sagt Direktor Gerhard Finckh. Mit einem Kran und 20 Helfern hievte Cragg anschließend rund 120 seiner berühmten Skulpturen in das verwinkelte Haus. 26 Räume konnte Cragg für seine erste Retrospektive mit Skulpturen sowie 150 Zeichnungen, Aquarellen und Fotografien füllen.
Finckh überreichte ihm die Raumpläne und gab ihm freie Hand, was auch nicht unbedingt selbstverständlich ist. Cragg ist einer der ganz großen Bildhauer, die die Welt im Moment hat, sagt Finckh. Da sei es folgerichtig, dass Wuppertal ihm eine Ausstellung widme und das ganze Haus freimache.
Aber es war auch ein Kraftakt, geben alle Beteiligten am Ende zu. Denn die Skulpturen Craggs sind teilweise meterhoch und bis zu 1500 Kilogramm schwer. Cragg bewege sie, als wären es kleine Bilder, sagt Finckh. Das hätte das Museum so nie geschafft. Cragg sagt: Das war die schwierigste Installation, die ich gemacht habe.
Bekannt ist Cragg für verdrehte Skulpturen aus Holz, Bronze oder glänzendem Edelstahl, in denen man häufig Profile menschlicher Gesichter erkennt. Statuenähnlich schrauben sich die Stelen in die Höhe - mit Gesichtern wie von einem gigantischen Luftzug verzerrt.
Inspiriert aber war der gelernte Chemielaborant immer auch von Chemie, Physik und Biologie. An Ingwer-Knollen, Schneckenhäuser oder chemische Verbindungen erinnern seine Bodenskulpturen. Schon als junger Mann experimentierte Cragg mit den Formen der Natur. Auf Schwarz-Weiß-Fotos von 1972 ist zu sehen, wie er seine Arme und Beine mit einer langen Reihe weißer Steine bedeckt. Ich habe vom Material gelernt, sagt Cragg.
Und das ist bei ihm höchst vielfältig: Aus buntem Alltags-Plastikmüll wie Bechern, Tellern und Sandkastenspielzeug legte er Boden-Installationen oder fertigte seine sechs Meter lange Wandinstallation Menschenmenge (1984) an. Bretter, Pappe, Kisten vom Sperrmüll stapelte er ganz zu Anfang seiner Karriere 1975 zu einem meterhohen Würfel.
Unzählige Verästelungen habe Craggs Werk, sagt Finckh. Versuch eines Porträts nennt Cragg etwa ein grünliches Glasfaser-Objekt aus mehreren Trichtern, die Mund und Ohren symbolisieren. Tausende weiße Spielwürfel klebte er zu einer raumfüllenden amöbenförmigen Skulptur zusammen. Milchige Vasen und Gläser stapelte er zu einem meterhohen fragilen Turm. Doch mit Materialien zu basteln, war Cragg irgendwann nicht mehr genug. Bildhauerei ist die Erfindung von neuer Form, sagt er. Wir wollen nicht das, was da ist, kopieren. Wir wollen das, was nicht da ist, kreieren.
In jüngster Zeit hat sich Cragg dem Glas zugewandt. Bis zu 15 Kilo schwer sind seine gläsernen Skulpturen, die er in Murano blasen lässt. Den Kraftakt der Herstellung sieht man den leicht wirkenden Objekten, in denen Cragg auf Formen früherer Arbeiten zurückgreift, nicht an. Damit der Glasbläser die kiloschweren Klumpen an der Stange halten konnte, musste er von seinen beiden Söhnen festgehalten werden. Die Objekte seien eine Mischung aus dem, was ich mir vorstelle und dem was geht, sagt Cragg. Ein Bildhauer lerne die ganze Zeit vom Material. Das sei sein Abenteuer.