1. Startseite
  2. >
  3. Kultur
  4. >
  5. Zehntausende Kids spielen in Jugendorchestern

Harte Arbeit Zehntausende Kids spielen in Jugendorchestern

Deutschlands Konzertsäle vergreisen? Mitnichten! Vielerorts in der Bundesrepublik spielen Kids klassische Musik in Kinder- und Jugendorchestern – mit großer Begeisterung.

Von Iris Leithold, dpa 02.01.2019, 10:46

Schwerin (dpa) - Die Musiker und Musikerinnen johlen und trampeln mit den Füßen, als der Solist des Abends seine Blumen entgegennimmt. Nach der letzten Verbeugung fallen sie einander auf offener Bühne in die Arme.

Sie tragen Festival-Armbänder, Pferdeschwanz und Zahnspangen - und sie spielen klassische Musik auf hohem Niveau, wie etwa das Jugendsinfonieorchester (JSO) Schwerin, das 2017 den Deutschen Jugendorchesterpreis gewonnen hat.

Mehr als 150 000 Kids musizieren Schätzungen zufolge in Deutschlands etwa 5000 Kinder- und Jugendorchestern. Diese reichen vom einfachen Spielkreis bis zum vollständig besetzten Sinfonieorchester. "Die Orchesterlandschaft in Deutschland ist wahrlich einzigartig", sagt die Vorsitzende der Deutschen Stiftung Musikleben, Irene Schulte-Hillen. "Vor allem die zahlreichen Jugendorchester leisten einen enormen Beitrag."

Es ist Chaosprobe beim JSO Schwerin, so heißt die erste Probe für ein neues Programm. Dirigent Stefan Kelber hat einen Teil der Noten eine Woche zuvor verteilt und hofft, dass die gut 60 Mädchen und Jungen zwischen 12 und 19 Jahren, die im Halbrund vor ihm sitzen, die Stücke zu Hause schon mal geübt haben. "Wir spielen die zwei", ruft er. "Eins, zwei, eins, zwei, los geht’s!"

Bei den Streichern ist eine Melodie erkennbar, die Hörner klingen irgendwie dissonant dazwischen. Kelber winkt nach wenigen Takten ab. "Was spielt ihr da eigentlich?", fragt er in Richtung der Blechbläser und lacht. "Ich weiß, Chaosprobe." Einige hatten nicht richtig zugehört und ein anderes Stück angestimmt, das erst später dran ist. Ein Mädchen kichert: "Ach so!"

In den Jugendorchestern lernen die Kids das Zusammenspiel und die Erschaffung eines gemeinsamen Klangs – eine großartige Erfahrung, wenn es klappt. "Da steckt harte Arbeit drin", sagt Dirigent Kelber, der jede Woche aus Berlin anreist, wo er lebt und bei einer Musikschule angestellt ist.

Die deutsche Jugendorchester-Landschaft ist wie eine Pyramide aufgebaut. Die Basis bilden die vielen Schul- und Musikschulorchester zwischen Stralsund und München. Für die besten jungen Musiker gibt es die Landesjugendorchester (LJOs) und das Bundesjugendorchester (BJO). Das sind Auswahlorchester, die sich mehrmals im Jahr für eine Woche oder mehrere Wochen treffen, um ein Konzertprogramm zu erarbeiten und aufzuführen.

"Junge Musiker machen hier ihre ersten Erfahrungen mit bedeutenden Dirigenten", sagt Schulte-Hillen über das BJO. Die Deutsche Stiftung Musikleben hilft nach Kräften. "Ich weiß noch genau, welche Überredungskunst es brauchte, um einen weltberühmten Dirigenten wie Kurt Masur von dem außergewöhnlich hohen Niveau eines deutschen Jugendorchesters zu überzeugen", erzählt sie.

Zu den BJO-Dirigenten gehörten inzwischen auch Sir Simon Rattle, Alondra de la Parra, Gustavo Dudamel und Kirill Petrenko. Konzertreisen führen die Jugendlichen bis in die USA und nach Indien. Viele BJO-Mitglieder werden später Berufsmusiker.

An der Basis werden kleinere Brötchen gebacken. Beim JSO Schwerin freuen sich die Mädchen und Jungen über eine gemeinsame Fahrt nach Hamburg mit Besichtigung der Elbphilharmonie oder eine Konzertreise nach Berlin-Neukölln. Seit Jahren träumen sie von einer Reise ins Ausland. Einladungen gab es schon, etwa zu einem Jugendorchestertreffen in Wien oder nach Australien. Die Kosten waren jedoch zu hoch. Ein 60-köpfiges Orchester mit Instrumenten auf Reisen zu schicken, kostet mehrere zehntausend Euro.

Anreize zum Dranbleiben setzt Jeunesses Musicales, die Vereinigung der deutschen Jugendorchester - zum Beispiel mit dem alle zwei Jahre stattfindenden Wettbewerb zum Deutschen Jugendorchesterpreis. "Da stellt sich dann die Frage: Wie stark identifiziere ich mich mit meinem Orchester und dem nächsten Konzertprojekt?", sagt Generalsekretär Ulrich Wüster.

Im gerade laufenden Wettbewerb 2018/19 sind in einer ersten Runde aus allen Bewerbern 13 Jugendorchester zwischen Bremen und Sonthofen ausgewählt worden. Sie stellen in den kommenden Monaten ihre selbst entwickelten Konzerte in öffentlichen Veranstaltungen einer Jury vor und hoffen auf den ersten Preis - und 3000 Euro für die Orchesterkasse.

Informationen zum JSO Schwerin

Informationen zu Jeunesses Musicales

Deutsche Stiftung Musikleben