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Entscheidung Spannung in fünf Städten: Wer wird Kulturhauptstadt 2025?

Sie wollen Gräben überwinden, Klischees hinter sich lassen und "raus aus der Leere": Als Europäische Kulturhauptstadt 2025 haben die fünf deutschen Bewerberstädte viel vor. Am Mittwoch fällt die Entscheidung, wer den Titel bekommt.

Von den dpa-Korrespondentinnen 25.10.2020, 12:07

Berlin (dpa) - Jahrelang wurden Ideen gewälzt, Programme aufgestellt und dicke Bewerbungen geschrieben.

Am Mittwoch (28.10.) gegen 13.30 Uhr soll es nun soweit sein: Dann verkündet die europäische Auswahljury in einem Livestream, welche deutsche Stadt im Jahr 2025 den Titel "Europäische Kulturhauptstadt" tragen wird. Auf der Shortlist sind noch fünf Bewerber: Chemnitz, Hannover, Hildesheim, Magdeburg und Nürnberg.

Ursprünglich waren acht Städte ins Rennen gegangen, doch Dresden, Gera und Zittau schieden in der ersten Runde im Dezember 2019 aus. Die verbliebenen Kandidaten wurden aufgrund umfangreicher Bewerbungsbücher bewertet. Außerdem gab es in den vergangenen Tagen Stadtbesuche, die wegen der Corona-Pandemie allerdings ausschließlich digital stattfanden.

Nach den "finalen digitalen Präsentationen am 26. und 27. Oktober", so die federführende Kulturstiftung der Länder, gibt die Jury ihr Votum bekannt. Formal wird die Kulturhauptstadt dann bis Ende 2020 von der Kultusministerkonferenz ernannt.

Die zweite Europäische Kulturhauptstadt 2025 kommt aus Slowenien. Deutschland hatte den Titel zuletzt 2010 (Essen und das Ruhrgebiet), aktuell tragen ihn Rijeka (Kroatien) und Galway (Irland).

Und so wollen die Bewerberstädte den Sieg holen:

CHEMNITZ will mit Macher-Mentalität punkten: "Wir wollen all die Leute und Orte sichtbar machen, die man nicht sieht und damit auch ein Chemnitz, das in Europa - noch - keiner auf dem Schirm hat", sagte Jenny Zichner vom Bewerbungsteam. Mit kulturellen Mitteln Gräben überwinden, wieder miteinander ins Gespräch kommen, eine aktive und demokratische Stadtgesellschaft werden - das seien Ziele hinter dem Bewerbungsprozess, erläuterte Zichner.

Chemnitz war vor zwei Jahren tagelang im Ausnahmezustand gewesen, nachdem Daniel H. am Rande des Stadtfests von einem Asylbewerber erstochen worden war. Es folgten Demonstrationen, bei denen auch der Hitlergruß gezeigt wurde.

Die Ereignisse des Sommers 2018 habe man genau wie brachliegende Flächen und leerstehende Häuser zunächst als Schwäche in der Bewerbung der drittgrößten Stadt in Sachsen betrachtet. "Doch im Grunde genommen sind das alles Themen, die ganz Europa betreffen, die uns mit Europa verbinden. Und um Gräben zu überwinden, fangen wir am besten vor Ort an", sagte Sören Uhle, Chef der Chemnitzer Wirtschaftsförderungs- und Entwicklungsgesellschaft (CWE).

Ob Wende, Strukturwandel oder jetzt die Corona-Pandemie: Mit seiner Macher-Mentalität stehe Chemnitz stellvertretend für eine Gesellschaft, die nicht darauf wartet, dass jemand kommt, sondern aktiv wird, erklärte Uhle.

HANNOVER ließ es beim virtuellen Jury-Besuch richtig krachen. "Normalität ist keine Option", heißt ein Manifest mit Bezug auf die Corona-Pandemie. Hauptdrehort war das Ihme-Zentrum, ein heruntergekommener Hochhauskomplex, an dem zuletzt Finanzinvestor Lars Windhorst die Mehrheitsanteile übernommen hat. An der Präsentation waren Künstler der freien Szene genauso wie Sänger der Staatsoper beteiligt. "Wir sind voll ins Risiko gegangen und noch einmal über uns hinausgewachsen", sagte Oberbürgermeister Belit Onay (Grüne).

Die niedersächsische Landeshauptstadt will im Bewerbungsverfahren mit Kreativität punkten. Schon das erste Bewerbungsbuch war ein Roman. In ihrer Bewerbung hat die 500.000-Einwohner-Stadt einen sehr weiten Kulturbegriff. So soll es auch um neue Verkehrskonzepte gehen.

Für das Willkommenszentrum der Kulturhauptstadt soll 2025 eine vielbefahrene, mehrspurige Hochstraße in der Nähe des Hauptbahnhofs für ein Jahr gesperrt werden. Ein prominenter Unterstützer der Bewerbung Hannovers ist Pianist Igor Levit, der im Alter von acht Jahren aus Russland nach Niedersachsen kam. Der politisch engagierte Musiker war beim Jury-Besuch aus Stockholm zugeschaltet.

HILDESHEIM tritt gemeinsam mit mehr als ein Dutzend Kleinstädten und Gemeinden aus dem Umland an. "Wir bewerben uns als Provinz", sagt der Leiter des Projektbüros Hildesheim 2025, Thomas Harling. In ganz Europa sei es wichtig, dass die Stimme der nicht-urbanen Gebiete mehr gehört werde. "Rüben, Rosen und der Sinn des Lebens", lautete das Motto des ersten Bewerbungsbuches der 100.000-Einwohner-Stadt, die etwa 30 Kilometer südlich von Hannover liegt.

Beim digitalen Besuch der europäischen Jury präsentierten Trecker und als Rüben verkleidete Tänzerinnen ein "Landmaschinenballett" auf einem aufgeweichten Acker. Der Zuckerrübenanbau hat eine besondere Bedeutung in der Region.

"Der Acker ist eine Bühne, die es anderswo nicht gibt", sagt Harling. Die Region verfüge aber auch über weltweit renommierte Kulturstätten - im Schloss Derneburg etwa präsentiert die Hall Art Foundation hochkarätige zeitgenössische Kunst. Beim virtuellen Jurybesuch gab es auch eine Kamerafahrt durch den Mariendom, an dem der Legende nach seit 1000 Jahren ein Rosenstock wächst. Bereits seit 1985 gehören der Hildesheimer Dom und die frühromantische Kirche St. Michaelis zum Unesco-Weltkulturerbe.

MAGDEBURG hat bei seiner Bewerbung mit den Begriffen Leere und Anziehungskraft gespielt. Die im Zweiten Weltkrieg massiv zerstörte Elbestadt hat noch heute städtebauliche Wunden, auch die wegbrechende Schwermaschinenindustrie nach der Wiedervereinigung hat für viele Lücken gesorgt. Diese sollen auf dem Weg zur Kulturhauptstadt Europas 2025 mit Ideen und Projekten gefüllt werden.

Rund 180 internationale Partner und mehr als 100 Partner aus der Stadt wollen sich beteiligen. Aus dem anfänglichen, auch kritisch gesehenen Motto "Out of the Void" (Raus aus der Leere) wurde im zweiten Bewerbungsbuch "Force of Attraction" (Anziehungskraft).

Mit Leere und Anziehungskraft greift die Stadt zudem zurück auf einen der berühmtesten Söhne der Stadt, den Naturwissenschaftler Otto von Guericke (1602-1686), der mit seinem Experiment der "Magdeburger Halbkugeln" ein Vakuum erzeugte und die Kraft des Luftdrucks demonstrierte.

In der Bewerbung Magdeburgs spielen die Wissenschaftsstadt, Geschichte, Sport und Kultur gleichsam eine Rolle. Künstler sollen auf Wissenschaftler treffen, Musikfestivals und Theaterprojekte sind geplant sowie E-Sport-Veranstaltungen; Bürger, Vereine und Kitas sollen Brachflächen in einem Stadtteil gestalten.

NÜRNBERG will beweisen, dass Bayerns zweitgrößte Stadt auch andere Seiten hat. Denn Historisches und Klischees - der Maler Albrecht Dürer, die Nürnberger Prozesse, Lebkuchen und das Christkind - prägen das Bild, das viele von der Stadt haben. "Past Forward" lautet der Titel der Bewerbung, die die Vergangenheit mit der Zukunft verbinden soll.

"Nürnberg ist eine diverse Stadt. Es gibt unglaublich viel kreatives Potenzial", sagt der Leiter des Bewerbungsbüros, Hans-Joachim Wagner. Und die mehr als 60 geplanten Projekte im Kulturhauptstadtjahr sollen dieses heben. "Deshalb ist es wichtig, dass Nürnberg den Titel bekommt, um sich noch mal selbst zu finden und neu zu erfinden."

Unter den Bewerberstädten sticht Nürnberg vor allem damit heraus, dass sich die Stadt zusammen mit der gesamten Metropolregion bewirbt. Diese ist wie die EU ein freiwilliger Zusammenschluss, in dem die Mitglieder ihre gemeinsamen Ziele immer neu verhandeln müssen. Dass es zu so einem engen Miteinander komme, sei vor zwei, drei Jahren noch nicht vorstellbar gewesen, sagt Wagner.

Wagner ist von Nürnbergs "außergewöhnlicher Bewerbung" überzeugt, wie er es selbst nennt. Er sieht aber auch die Stärken der Konkurrenz. "Wir haben uns alle wechselseitig angespornt", sagt er. "Ich glaube, für die Jury wird es eine Herausforderung, zu sehen, wo der Titel hingeht."

© dpa-infocom, dpa:201025-99-74471/5

Kulturhauptstadt Magdeburg 2025

Kulturhauptstadt Nürnberg 2025

Kulturhauptstadt Hildesheim 2025

Kulturhauptstadt Hannover 2025

Kulturhauptstadt Chemnitz 2025

Hauke-Christian Dittrich
Hauke-Christian Dittrich
dpa
Julian Stratenschulte
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dpa
Peter Gercke
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Daniel Karmann
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dpa