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Mauerkünstler Jim Avignon: East Side Gallery jedes Jahr neu vergeben

Einst tödliche Mauer an der Spree in Berlin ist die East Side Gallery Dank ihrer Street Art heute ein Touristenmagnet. Einer der Künstler ist Jim Avignon. Für die Zukunft der Mauer hat er ganz eigene Ideen.

Von Interview: Arne Bänsch und Gerd Roth, dpa 05.09.2019, 13:08

Berlin (dpa) - Jährlich strömen Millionen Touristen zur East Side Gallery in Berlin. Das längste Teilstück der Mauer an der Spree ist eine Galerie unter freiem Himmel. 118 Künstler aus 21 Ländern hatten die Mauer in der Wendezeit umgestaltet.

Einer von ihnen ist Jim Avignon. Der Berliner Künstler (52) erinnert sich im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur noch gut an die Anfänge im Frühjahr 1990.

Frage: Was war das für ein Gefühl, damals die Mauer umzugestalten?

Antwort: Es sah ganz anders aus, diese ganzen Gebäude, die es jetzt hier gibt, gab es nicht. Dafür gab es Unmengen Trabis, die sich morgens und abends vorbeigeschoben haben. Die Luft war unglaublich schlecht. Nach einem Tag Malen hatte man eigentlich mit Sicherheit einen Asthmaanfall.

Frage: Wie ist Ihr Kunstwerk entstanden?

Antwort: Ich war 1990 seit zwei Jahren in Berlin und nicht sehr bekannt und habe das ganz persönlich als eine Art Plattform genommen, um im großen Stil zeigen zu können, was ich kann. Ich hab dann ein Motiv gemacht, das in ironischen Kommentaren die Situation nach dem Mauerfall beschreibt.

Frage: Ihr Kunstwerk schaut heute anders aus, als in der Gründungsphase - wie kam es dazu?

Antwort: Die Galerie steht ja wesentlich länger als ursprünglich geplant war. Irgendwann war klar, dass ein Werk von so einer Wichtigkeit nicht von irgendjemand renoviert werden kann, sondern von den Künstlern selbst renoviert werden muss. Ich hatte mich zu dem Zeitpunkt, als ich renovieren sollte, bereits total mit dem Management der Galerie verkracht und dann entschieden, dass mein Piece unrenoviert bleibt. Kunst an der Straße sollte auch die Vergänglichkeit zeigen.

Frage: Aber dann haben Sie das Bild neu übermalt.

Antwort: Wir haben das mehrere Wochen lang trainiert in einem Atelier. Es waren 20 Leute, jeder nach seinen Fähigkeiten platziert. Es war leider sehr kalt, die Farbe ist viel langsamer getrocknet als geplant. Aber es war eigentlich egal, weil bereits nach fünf Minuten die Herren von der Polizei mit Blaulicht und quietschenden Reifen vor mir standen. Ich hatte aber glücklicherweise die Einladung von 2009, dass ich meine Wand renovieren soll, dabei.

Frage: Was geschah dann?

Antwort: Fragen wurden laut, darf der das? Vor allem von der Künstlerseite gab es extrem boshafte Kommentare, weil natürlich ich den Denkmalstatus in Frage gestellt hatte, durch einfach eine Übermalung mit einem neuen Motiv.

Frage: Wie denken Sie über die East Side Gallery heute - als Touristenmagnet?

Antwort: Ich glaube, die meisten Touristen denken, dass die Mauer bereits zu Mauerzeiten so aussah. Diese Mauer war zu Ostzeiten natürlich noch jungfräulich, weil man hier sein Leben riskierte, wenn man drauf gemalt hätte.

Frage: Was halten Sie von Touristen, die hier nur Selfies knipsen?

Antwort: Jeder der eine Stadt besucht, erkundigt sich nach den Sehenswürdigkeiten und klappert sie ab und heutzutage macht man einfach Selfies davor. Ich denke es ist trotzdem gut, dass die Mauer als solche noch existiert und zumindest zum nachdenken und zum diskutieren anregt.

Frage: Wie stellen Sie sich die Zukunft der East Side Gallery vor?

Antwort: In den letzten 30 Jahren ist das Thema Street Art ja erst richtig groß geworden. Es gibt auf der ganzen Welt Künstler, die möglicherweise stärkere Arbeiten zum Thema Mauern auf der Welt oder zum Thema Mauer in Berlin liefern könnten. Persönlich würde ich mir wünschen, dass die Mauer als solche stehen bleibt, vielleicht in Verbindung mit einem Museum, aber kuratiert jedes Jahr neu an Künstler gegeben wird, die dort für ein Jahr Arbeiten ausstellen. Es gibt so viele Problempunkte in der Welt, die Welt ist in so einer Krise, über die Künstler an diesem populären Ort sich äußern könnten und auch gesehen werden.

Zur Person: Jim Avignon (52) ist ein deutscher Pop- und Street-Art-Künstler. Der Künstlername geht auf eine Autopanne nahe der südfranzösischen Stadt zurück. Nach einer Phase in New York lebt Avignon wieder in Berlin. Als Neoangin tritt er bei Ausstellungen oder in Clubs mit Elektro-Pop-Stücken auf. Zudem gestaltet er Industrieprodukte von Uhren bis zu Flugzeugen.

Homepage Jim Avignon

Website der Stiftung Berliner Mauer: East Side Gallery