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Alte Tradition Angeln 2.0: Streetfishing in Hamburg

Angeln ist nur was für alte Männer? Von wegen! Junge Streetfisher machen mitten in Hamburg Jagd auf frischen Fisch und verpassen dem traditionellen Hobby ein neues Image.

Von Katharina Meyer, dpa 13.08.2018, 11:24

Hamburg (dpa) - Kein Klappstuhl, keine Kühltasche, kein aufwendiges Equipment. Gordon Naumann hat nur eine kleine Umhängetasche und seine Angelrute dabei. Der junge Mann steht auf einer Brücke in Hamburgs Hafencity und lehnt sich entspannt ans Geländer.

Hinter ihm lärmt der Verkehr, Teenager skaten klappernd die Treppen hinunter, Touristen schießen Fotos und lachen. Naumann ignoriert die Geräuschkulisse, sein Blick ruht auf der Elbe. Mit beiden Händen umklammert er die schwarzglänzende Angelrute.

Naumann ist 32 Jahre alt und Bundeswehr-Soldat. Vor einigen Jahren hat er sein Hobby aus Kindheitstagen wiederentdeckt: das Angeln. Allerdings in einer neuen, moderneren Variante. "Streetfishing ist meine persönliche Therapie", sagt er. "Es beruhigt mich. Ich blende alles um mich herum aus."

"Streetfishing ist die neue Generation des Angelns", sagt Robin Giesler vom Angelsport-Verband Hamburg. Doch worin unterscheiden sich Angeln und Streetfishing? "Angeln geht man in der Walachei, beim Streetfishing ist man mitten in der Stadt", sagt Streetfisher Naumann. Der traditionelle Angler habe viel Equipment und vor allem jede Menge Zeit im Gepäck. Streetfisher seien dynamischer und nutzten nur die minimalste Ausrüstung. Die Idee dahinter ist simpel: Angeln im Alltag, in der Mittagspause, wann immer der vielbeschäftigte Städter sein Hobby unterbringen kann. Ursprünglich stammt der Trend aus Frankreich, vermutlich aus Paris, wie Naumann erzählt.

In Deutschland sei die Zahl der Streetfisher in den vergangenen fünf Jahren enorm gewachsen, sagt der Gründer des Streetfishing-Vereins "SFHH", Mike Brüggen. Er organisiert seit 2013 jährlich Streetfishing-Events in der Hansestadt, die nächste Veranstaltung ist für den 29. September geplant. Das Besondere an dem urbanen Angel-Trend sei die "Entschleunigung", der "Ruhepol mitten in einer pulsierenden Großstadt". Dieser Lifestyle treffe den Puls der Zeit.

Dass Hamburg zu den beliebtesten Streetfishing-Spots in Deutschland zählt, ist kein Zufall. In der Hansestadt sind die Gewässer weitgehend frei. Das bedeutet, wie Giesler erklärt, dass hier jeder angeln kann, der einen Angelschein besitzt. Man müsse weder Geld für seinen Fang bezahlen oder ihn dokumentieren noch Mitglied in einem Anglerverein sein. Die Streetfisher müssten lediglich die Mindestmaße und die Schonzeiten der jeweiligen Fischart beachten. So müsse der Zander mindestens 40 Zentimeter lang sein und dürfe zwischen Januar und Mai nicht geangelt werden. Haben ihn die Streetfisher doch am Haken, obwohl er die Voraussetzungen nicht erfüllt, müssen sie ihn zurück ins Wasser werfen.

"Das Zurücksetzen von Fischen ist zwingend nötig, um den Fischbestand zu erhalten", erklärt Prof. Robert Arlinghaus vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin. "Ob Fische Schmerzen empfinden oder nicht, ist wissenschaftlich umstritten, in jedem Falle werden sie gestresst." Der Stress klinge jedoch nach wenigen Stunden ab und auch die Wunde durch den Haken verheile schnell. Angler dürfen aber nicht jeden Fisch zurück ins Wasser werfen. Hängt das Tier einmal am Haken und erfüllt Mindestmaße und Schonzeiten, sind die Streetfisher dazu verpflichtet, den Fisch zu entnehmen. Das kritisiert Professor Arlinghaus, denn auch die größeren Fische sicherten die Population.

Egal ob zu groß oder zu klein - für Tierschützer ist sowohl das Angeln als auch das Zurücksetzen von Fischen ein No-Go. "Beim Zurücksetzen der Fische kommt es vor, dass die Tiere noch benommen sind und so zu einer leichten Beute für andere Fische werden. Manche sterben auch an ihren Verletzungen oder aufgrund der Temperaturunterschiede zwischen Wasser und Land", sagt Tanja Breining von der Tierrechtsorganisation Peta.

Ein weiteres Problem sei der Müll, den Angler hinterließen, bemängelt Sven Fraaß vom Hamburger Tierschutzverein: "Angelschnüre, Köder und Haken, die abreißen oder von den Anglern am Angelplatz entsorgt werden, sind ein gravierendes Problem für den Natur- und Tierschutz." Wasservögel würden sich "durch zurückbleibende Angelschnüre oder Verschlucken des Angelhakens teils tödlich verletzen", kritisiert auch Peta-Sprecherin Breining.

Streetfisher Naumann kennt die Debatten nur allzu gut. Er ärgert sich über Angler, die ihren Müll zurücklassen und damit die Umwelt gefährden. "Diese Leute sind eine Minderheit, aber sie machen unseren Ruf kaputt." Dass er für sein Hobby Tiere tötet, sieht Naumann gelassen. "Ich töte ja nur Fische, die ich anschließend auch essen kann."

Aber schmecken die Fische aus Alster, Bille oder Elbe überhaupt? "Klar, die Fische sind absolut genießbar", sagt Giesler. Den Fisch aus der Elbe sollte man allerdings in Maßen genießen. Die Gesundheitsbehörde empfiehlt schon seit 20 Jahren, nicht mehr als ein bis zwei Kilogramm Elbfisch im Monat zu verzehren. Demnach könnten einige Fische Rückstände von Schwermetallen und Altpestiziden aufweisen. Diese Warnung gelte nach wie vor, wie eine Sprecherin der Umweltbehörde mitteilte.

Über Schwermetallrückstände in seinem Fisch muss sich Naumann heute keine Gedanken machen. Für ihn gibt es diesmal kein Abendessen aus der Elbe. Trotzdem sieht er zufrieden aus, als er seine Angelrute einholt. "Vorführeffekt", sagt er schmunzelnd.

Atlas der Fische Hamburgs