Schwindel kann viele Ursachen haben Das Zusammenspiel von Sehen, Lageempfinden und Wahrnehmung ist sehr kompliziert
Wenn uns schwindelig wird, kann das verschiedene Ursachen haben. Dr. Falk Wiedemann, Oberarzt für Neurologie am Neurologischen Rehabilitationszentrum Magdeburg, erläutert Ursache, Wirkung und Behandlungsmöglichkeiten.
Magdeburg l Jedem Menschen ist in seinem Leben schon schwindelig gewesen. Schwindel und Taumel sind nicht immer Ausdruck einer Erkrankung. Doch wie entsteht Schwindel? Das Zusammenspiel von Sehen, Lageempfinden und Wahrnehmung von Bewegungen kann gestört werden. Aktive Körperbewegungen führen zu einer Reizung dieser drei Sinnessysteme, deren Meldungen mit dem individuellen Erfahrungsmuster des Körpers abgeglichen werden. Stimmen die neuen Sinneswahrnehmungen mit dem bekannten Muster nicht überein, so wird die Lage des Körpers im Raum als "gefährlich" wahrgenommen: Es entsteht Schwindel. Dadurch ist auch zu erklären, dass man sich an schwindelauslösende Umweltbedingungen gewöhnen kann. Jedem ist geläufig, dass erfahrene Seeleute nicht seekrank werden.
Wenn aber die für Bewegungsmeldungen entscheidenden Sinnesorgane gestört sind, so entsteht krankhafter Schwindel. Dabei handelt es sich nicht um ein einheitliches Krankheitsbild. Grundsätzlich wird unterschieden zwischen Schwindelformen, die vom Gleichgewichtsorgan bzw. seinen Nervenstrukturen ausgehen oder von den Hirnregionen, die Bewegungsmeldungen verarbeiten.
Auch Nervenbahnen, welche die Tiefensensibilität und das Lageempfinden weiterleiten, können zu taumelartigen Empfindungen beitragen. Eine wichtige Frage des Arztes lautet daher, ob ein Patient einen "Drehschwindel" oder ein "schwankendes" Taumelgefühl wahrnimmt. Um verschiedene Schwindelformen voneinander zu unterscheiden, ist eine genaue Beschreibung des Auftretens von Schwindelanfällen notwendig.
Die Fragen sollten also lauten: Tritt der Schwindel im Liegen, im Stehen oder im Gehen auf? Tritt der Schwindel besonders dann auf, wenn sich der Patient im Bett dreht? Wie lange dauert ein Anfall? Sekunden, Minuten oder ist er gar stundenlang oder dauerhaft vorhanden. Führt der Schwindel zu Übelkeit und Erbrechen? Treten in Verbindung mit Schwindel andere Krankheitszeichen wie Sprachstörungen, Bewegungsstörungen, Hörstörungen oder Kopfschmerzen auf?
Von großer Bedeutung ist die Frage, ob neben dem Schwindel auch andere Ausfälle des zentralen Nervensystems auftreten. Dies können Doppelbilder, plötzliche Störungen von Sprechen und Schlucken, Lähmungen der Arme und Beine oder der Gesichtsmuskulatur sein. Die Feinabstimmung der Bewegungen wird wesentlich durch das sogenannte Kleinhirn gesteuert.
Dieser Teil des Gehirns ist eng mit dem Lagesinn verbunden. Bei einer Störung des Kleinhirns bemerken Patienten bei normaler Kraftentfaltung eine fehlerhafte Koordination, eine undeutliche Sprache oder überschießende Bewegungen. Dies kann zum Beispiel bei einem Schlaganfall im Kleinhirn, einem Hirntumor oder einer Hirnblutung der Fall sein.
"Von den Schaltstellen zu den Augenmuskeln"
Das Lageempfinden des Körpers im Raum wird von unserem Gleichgewichtsorgan, dem sogenannten "Vestibularorgan", registriert. Dieses befindet sich beidseits tief im Inneren unseres Schädels verborgen und liegt genau neben dem Innenohr. Das Vestibularorgan ist ein winziges Labyrinth und besteht aus drei Bogengängen, die jeweils einen Durchmesser von etwa einem Zentimeter haben.
Diese Bogengänge sind so angeordnet, dass sie in alle Richtungen des Raumes weisen. Sie sind mit einer wässrigen Körperflüssigkeit, der Perilymphe, gefüllt. Auslenkungen des Körpers führen zu einer Bewegung dieser Perilymphe, die mit einer gewissen Trägheit winzige Sinneshaare am Ende der Labyrinthgänge reizt. Von diesen Sinneshaaren werden Nervenimpulse zu Schaltstellen im Hirnstamm gesandt, welche den Lagesinn zum Kleinhirn und auch zum Großhirn weiterleiten. Erst dadurch wird die Lage im Raum zu einer Wahrnehmung. Es wird einleuchten, dass eine Störung an jeder Stelle dieses empfindlichen Regelsystems zu Schwindel führen kann.
Von großer Bedeutung für die Diagnostik ist außerdem, dass von den Schaltstellen im Hirnstamm Nervenbahnen zu den Augenmuskeln gehen. Der Zweck dieser Regelkreise ist, dass unsere Augen bei Bewegungen des Kopfes ein Ziel rasch erfassen können und Rückmeldungen zur Lage des Körpers im Raum an Vestibularorgan und Hirnstrukturen abgeben. Bei Störungen in den genannten Regelkreisen kommt es zu einer überschießenden Reaktion der Augenbewegungen.
Um diese zu beobachten, benötigt der Arzt eine spezielle Vergrößerungsbrille. Der Patient setzt die sogenannte "Frenzelbrille" auf, damit der Arzt seine Augen vergrößert sieht. Außerdem kann der Patient durch die Brille hindurch keine Gegenstände in der Ferne fixieren, Fixierung hemmt die zur Diagnostik wichtigen Bewegungen.
Bei der Untersuchung wird der Arzt den Patienten in verschiedene Richtungen lagern. Tritt Bewegung auf, kann der Arzt daraus wichtige Schlüsse zur Ursache des Schwindels ziehen.
Angst als Ursache von Schwindel
Nicht immer ist eine Erkrankung des Gleichgewichtsorgans oder des Kleinhirnsystems für den Schwindel verantwortlich: Schwindel kann leicht aus Angst entstehen. Vielen von uns wird leicht schwindelig, wenn sie von einer hohen Brücke schauen, und den meisten Menschen würde es heftigen Schwindel verursachen, müssten sie auf einer steilen Felsnadel stehen. Es gibt im Leben leider Umstände, die uns alle sprichwörtlich "ins Schwanken geraten" lassen. Obwohl also die Bewegungssensoren keine Signale geben, kann dann unsere Wahrnehmung "Schwindel" signalisieren. Ein psychologisch ausgelöstes Schwindelgefühl kann so starke Ausmaße annehmen, dass der Betroffene keinen Fuß vor den anderen setzen kann.
Da die gestörte Körperwahrnehmung oft mit Angst (Phobie) in Verbindung steht, wird sie als "phobischer Schwindel" bezeichnet. Experten gehen davon aus, dass sie zu den häufigsten als Schwindel empfundenen Krankheitsbildern gehört. Der phobische Schwindel lässt sich nur durch sehr genaue Beschreibung der Schwindelanfälle, das Fehlen jeglicher anderer neurologischer Symptome und durch eine exakte klinische Untersuchung herausfinden.
Entscheidend ist, dass gerade diese Schwindelform durch intensives physiotherapeutisches Schwindeltraining behandelt werden kann. Die als Antivertiginosa bezeichneten Medikamente wirken in erster Linie gegen Übelkeit und Erbrechen, haben jedoch keine dämpfende Wirkung auf Schwindelempfindungen. Beim phobischen Schwankschwindel sind jedoch Medikamente zur Dämpfung von Ängsten und oftmals auch Medikamente zur Stimmungsaufhellung von großem Nutzen. Arzneistoffe, die im zentralen Nervensystem angreifen, können fehlgeschaltete Nervenbahnen dämpfen, um überaktive Wahrnehmungen zu regulieren.
Nicht alle Schwindelformen sind ursächlich behandelbar. Neu auftretender Schwindel, besonders in Verbindung mit anderen körperlichen Ausfällen, ist als Notfall zu betrachten und sollte bis zum Ausschluss einer Schädigung des zentralen Nervensystems sehr ernst genommen werden. Zur längerfristigen Behandlung von Schwindel ist physiotherapeutisches Schwindeltraining von größter Bedeutung.