Viele Somalier kommen über die grüne Grenze bei Liboi nach Dadaab. Von Bernd Kaufholz Hungersnot: 450 000 Menschen im größten Flüchtlingscamp der Welt
Rund 450 000 Hungerflüchtlinge leben im größten Camp der Welt - im kenianischen Dadaab unweit der somalischen Grenze. Die Menschen hausen in Manyattas, die meisten unter Plastikplanen, manche bereits seit 20 Jahren.
Eine Wüste aus rotem Sand, struppige, blattlose Büsche, Hunderttausende von Menschen in notdürftigen Unterkünften unter der sengenden Sonne Afrikas. Fast alle haben die Grenze zwischen Somalia und Kenia bei Liboi überschritten. Der Strom Hilfebedürftiger reißt kaum ab. Das Ziel der Somalier, zumeist Frauen und Kinder, die lediglich das haben, was sie auf dem Leib tragen, ist eines der drei Flüchtlingslager um Dadaab: Dagahaley, Ifo und Hagadera. Doch die sind hoffnungslos überfüllt.
Die Camps waren vor 20 Jahren für 90000 Menschen berechnetworden, um die somalischen Bürgerkriegsflüchtlinge aufzunehmen, später wurden sie auf das Zehnfache aufgestockt. Ifo 2 wurde aus dem Boden gestampft.Dann kam die Dürre hinzu, und die aktuelle Zahl der Menschen, die vor Krieg und Hunger geflohen sind, beträgt heute fast eine halbe Million.
Und aus den drei Lagern sind längst fünf geworden, obwohl die Regierung Kenias darauf Wert legt, dass es nur drei sind und das gerade eröffnete neue Camp Kambioos dem Lager Hagadera zuschlägt.
Amina gehört zu den Hungerflüchtlingen. Am Vorabend ist sie mit ihren neun Kindern in der "Rezeption" - der Registrierungsstelle des Camps - eingetroffen. 16 Tage war sie unterwegs. Sie sei nachts gelaufen und habe die Hauptwege gemieden, berichtet sie. Zu groß sei die Furcht gewesen. Habe sie doch auf somalischem Gebiet immer wieder Schüsse gehört.
In Liboi an der A3, dem ersten Ort auf kenianischem Gebiet, 75 Kilometer östlich von Dadaab, befindet sich ein sogenanntes Stabilisierungszentrum. Dort werden die zum größten Teil völlig geschwächten Flüchtlinge das erste Mal untersucht. Dort können sie so lange ausruhen, bis sie nach Dadaab weiterkönnen.
Amina hat kein Geld, kein Essen, kein Wasser, kein Obdach - ja nicht einmal Geschirr oder ein Behältnis für Wasser besitzen die Familien. All diese Dinge wird die Frau erst nach und nach bekommen: Eine Grundausstattung mit Reis, Öl, Plastikkannen...
Am Ankunftstag durchliefen sie und ihre Kinder das Aufnahmeprozedere mit Gesundheitsuntersuchung, Wiegen, Befragung zu den persönlichen Umständen und Registrierung.
Jetzt wartet sie mit den anderen Neuankömmlingen unter dem schattenspendenden Schleppdach in stoischer Ruhe darauf, ins Camp zu dürfen. Ihr Jüngster leidet unter schlimmem Durchfall und muss ärztlich behandelt werden.
Je mehr Flüchtlinge in die Wüsten-Camps kommen, desto kritischer wird dort die Lage. Die Versorgung mit Wasser, sanitären Anlagen, Bildung und anderem Lebensnotwendigem nimmt ständig ab. So sind die 45 Schulzelte und 230 Bildungskits, in denen sich unter anderem Lehrbücher, Schreibutensilien, Kreide, Mathematerial für je 50 bis 80 Schüler befinden, nur ein Tropfen auf den heißen Stein.
Vier von zehn Kindern haben nie zuvor eine Impfung erhalten. Hinzu kommt die Gefahr, dass sich Krankheiten ausbreiten. Dazu gehören die Masern. Seit dem Ausbruch der Epidemie sind 1226 Menschen - zumeist Kinder - erkrankt, pro Woche sterben etwa fünf Kinder an dieser Krankheit.
Ein Problem könnte auch Cholera werden. Die Campleitung bereitet sich auf eine Epidemie vor.