Alzheimer Wenn der Nachbar dement ist
Wie sollen Nachbarn und Vermieter damit umgehen, wenn der Bewohner nebenan seine geistigen Fähigkeiten verliert?
Berlin (dpa/vs) Die alte Nachbarin scheint körperlich topfit zu sein. Sie kauft alleine ein und trägt die Tüten ohne Mühe bis in den zweiten Stock. Nur ihre geistigen Fähigkeiten scheinen nachzulassen: Schon einige Male hat sie geklingelt, weil sie sich ausgesperrt hat, oder sie stand vor der Tür, weil sie ihre Bluse nicht zubekam – sie trug noch ihr Nachthemd darunter. Das sind typische Anzeichen einer Demenzerkrankung.
Was müssen Nachbarn in solchen Fällen ertragen? Klar ist: Es gibt keine festen Regeln. Im Zusammenleben mit Demenzkranken „ist ein gesteigertes Maß an Rücksichtnahme und Toleranz gefordert“, sagt Beate Heilmann von der Arbeitsgemeinschaft Mietrecht im Deutschen Anwaltverein (DAV). Grenzen überschritten werden nach Einschätzung der Anwältin, wenn Nachbarn jede Nacht um ihren Schlaf gebracht werden. Das Maß des Ertragbaren ist auch bei Bedrohungen erreicht.
Ansprechpartner betroffener Mieter sollte zunächst der Nachbar selbst sein. „Hilfe und Unterstützung anbieten, keine Vorwürfe machen“, empfiehlt Saskia Weiß von der Deutschen Alzheimer Gesellschaft. Außerdem sollte bei allein lebenden Menschen die Familie auf das merkwürdige Verhalten des Angehörigen angesprochen werden. Zudem gilt es, die Vermieter zu informieren.
Gerold Happ vom Eigentümerverband Haus & Grund Deutschland rät Vermietern, „den Mieter möglichst in der Lebensführung zu unterstützen, wenn man ihn gut kennt, weil man im gleichen Haus wohnt“. Klappt das nicht, rät Happ dazu, entweder die Angehörigen oder die Behörden einzuschalten. Zuständig ist der Sozialpsychiatrische Dienst der jeweiligen Kommune. „Nur dieser Dienst darf von sich aus Kontakt zum Erkrankten aufzunehmen, und er kann rechtliche Betreuung anregen“, sagt Saskia Weiß.
Mieter wie Vermieter sind zur Hilfe verpflichtet, wenn ihnen auffällt, dass ein Hausbewohner abgemagert, verwahrlost und offensichtlich verwirrt herumläuft. Wer einfach wegsieht, riskiert wegen unterlassener Hilfeleistung belangt zu werden. Nach Auskunft des Bundesfamilienministeriums kann jeder und jede eine rechtliche Betreuung beim Amtsgericht für einen demenzkranken Menschen anregen.
Allerdings dürfen Vermieter von sich aus nicht in die Wohnung des Demenzkranken; es sei denn, dieser hat ihnen oder einem Nachbarn Schlüssel gegeben. Polizei und Feuerwehr dürfendie Tür aufbrechen.
Nachbarn haben die Möglichkeit, „von ihrem Vermieter zu verlangen, dass er dafür sorgt, dass Beeinträchtigungen unterbleiben“, sagt Ulrich Ropertz, vom Deutschen Mieterbunds (DMB). Zu den Beeinträchtigungen gehört zum Beispiel Ruhestörung. Rein rechtlich betrachtet sind dies Mängel, die es dem Mieter erlauben, die Miete zu mindern. Vom menschlichen Schicksal abgesehen gehe es „um einen Instandsetzungsanspruch, vergleichbar dem tropfenden Wasserhahn“, sagt Beate Heilmann.
Vermieter dürfen dem Demenzkranken im schlimmsten Fall die Wohnung kündigen. Voraussetzung ist aber, dass sein Verhalten für die anderen Hausbewohner unzumutbar ist und es Beschwerden gibt. Für den Rauswurf ist es unerheblich, dass der demente Mensch für sein Verhalten gar nichts kann, wie Heilmann erläutert. Allerdings ist grundsätzlich vor der Kündigung mindestens eine Abmahnung fällig.
Der Mieter kann der Kündigung widersprechen, wenn diese eine Härte bedeuten würde, die auch unter Würdigung berechtigter Interessen des Vermieters nicht zu rechtfertigen ist. Eine Härte liegt auch vor, wenn angemessener Ersatzwohnraum zu zumutbaren Bedingungen nicht beschafft werden kann (Paragraph 574 Abs. 1 und 2 BGB).
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