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Reden hilft gegen Streit / Eigene Interessen verfolgen ist wichtig für harmonisches Miteinander Wenn die Alten zu den Jungen ziehen

29.08.2013, 01:11

Die Kisten packen und den Kindern hinterherziehen: Viele Ältere wagen diesen Schritt. Laut Experten kann das Projekt Großfamilie gelingen.

Hamburg (dpa) l Die Kinderziehen aus, in eine andere Stadt, des Jobs oder der Liebe wegen. Man besucht sich an Feiertagen und lebt ansonsten sein Leben. Doch wenn die Enkel kommen, wächst oft wieder der Wunsch nach Nähe.

"Der Anteil der älteren Menschen wächst, deren nächstwohnendes Kind weiter als zwei Stunden entfernt lebt", sagt Prof. Clemens Tesch-Römer, Leiter des Deutschen Zentrums für Altersfragen (DZA) in Berlin. Mal eben so besucht man sich dann nicht mehr, für einen gemeinsamen Alltag ist die Entfernung zu groß. Viele Eltern genießen die neu gewonnene Freiheit, den erwachsenen Kindern geht es ähnlich. Das ändert sich meist aus praktischen Gründen: Die Großeltern werden zur Kinderbetreuung gebraucht und genießen es ihrerseits, die Enkel aufwachsen zu sehen.

Altersforscher Tesch-Römer ist überzeugt, dass das in die Nähe ziehen gute Grundlagen hat: Die emotionale Verbundenheit zwischen älter werdenden Eltern und erwachsenen Kindern ist meist da. Beide profitieren von diesem Modell: "Die Großeltern können mit den Enkeln Ausflüge machen oder einen Teil der Betreuung übernehmen.Die Kinder können praktische Unterstützung, etwa beim Einkaufen, leisten."

Die glücklich vereinte Großfamilie also? Wie gut ein Umzug im Alter gelingt, hängt vor allem von realistischen Erwartungen ab. "Es ist ein großer Unterschied, ob man nur zu Besuch bei den Kindern ist, oder ob man den Alltag teilt", gibt Buchautorin Gertrud Teusen aus München zu bedenken. Das Zusammenleben, vor allem unter einem Dach, erfordere ein hohes Maß an Toleranz.

Wer seine Grenzen nicht klar benennt, läuft Gefahr, dass sich der Ärger in einem großen Krach entlädt. Gerade die Eltern-Kind-Situation birgt dieses Risiko: "Obwohl man schon lange erwachsen ist, nimmt man die Kind-Rolle wieder an, wenn die Eltern in der Nähe sind", so Teusen.

"Sprechen, sprechen, sprechen - das scheint mir die Vorbedingung zu sein", sagt Tesch-Römer. Auch unangenehme Fragen gehören auf den Tisch: Was passiert, wenn die Eltern pflegebedürftig werden? Was sind die Kinder bereit zu leisten? "Ganz schwierig sind emotionale Verrechnungsgeschäfte, in denen man sich vorhält, was man füreinander getan hat", warnt Christine Sowinski, Diplom-Psychologin beim Kuratorium Deutsche Altershilfe in Köln.

Sich ein eigenes Umfeld und eigene Interessen zu bewahren, sei wichtig, sagt Psychologin Sowinski: "Ideal ist es, wenn nicht nur die Kinder und Enkel die Motivation für den Umzug sind, sondern wenn man möglicherweise schon immer im Alter vom Land in die Stadt ziehen wollte."

Doch die Psychologin warnt auch: "Ein Umzug ist anstrengend - das unterschätzen viele", sagt Sowinski. Er bringt viele Abschiede mit sich: von Dingen, die in der neuen Wohnung keinen Platz haben, von Freunden, von Gewohnheiten."Ich muss mir vorher überlegen, ob ich wirklich alle meine Ärzte wechseln willoder wie wichtig mir der Schwatz mit der Bäckersfrau ist", sagt Autorin Teusen.