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Verlagsgründer Promi-Geburtstag vom 11. Juli: Klaus Wagenbach

Halb Kommunist, halb Konservativer. Das Leben des Verlegers Klaus Wagenbach vereint RAF-Texte mit Franz Kafka, Toscana-Fraktion und Ingeborg Bachmann. Eine Wiese auf dem Feldberg macht alles möglich.

Von Gerd Roth, dpa 10.07.2020, 23:01

Berlin (dpa) - Herzklausel schlägt Konsenslektorat. Wer auch gegen das Votum anderer Lektoren ein Buch veröffentlichen will, kann im Verlag Klaus Wagenbach diese Trumpfkarte ziehen. Solchen Individualismus lässt der als links bezeichnete Verlag zu. Auch Verlagsgründer Wagenbach, nach eigener Einschätzung halb Kommunist, halb Konservativer, muss die Herzklausel mitunter bemühen. Am 11. Juli wird er 90 Jahre alt.

Den eigenen Verlag verdankt er einem Rausschmiss und einer Wiese. Wagenbach beginnt 1949 eine Lehre beim noch vereinten Verlag Suhrkamp/Fischer. Dabei trifft er erstmals auf das Werk Frank Kafkas. Der Schriftsteller wird zur großen Leidenschaft, Wagenbach promoviert über den Autor. Der Kauf von Fischer durch Holtzbrinck bringt einschneidende Konsequenzen: die neuen Chefs kündigen Wagenbach, nachdem er sich bei der Staatsanwaltschaft über die Verhaftung eines DDR-Verlegers während der Buchmesse beschwert. Wagenbach mag "Kurven in der Biografie".

Befreundete Autoren prophezeien ihm, mit seinen Standpunkten bei keinem Verlag unterzukommen. Ein eigener Laden muss her. Wagenbach stammt aus Berlin, nur die Bomben des Zweiten Weltkriegs zwingen die Familie zur Flucht nach Hessen. Der Verlag soll 1964 wieder in West-Berlin entstehen. Sein Vater vermacht ihm eine Wiese auf dem Feldberg - der Verkaufserlös finanziert die ersten Bücher.

Das frühe Verlagsmotto "Geschichtsbewusstsein, Anarchie, Hedonismus" ist Hinweis auf Wagenbachs Welt und die Kämpfe der jungen Demokratie gegen Verdrängung der NS-Vergangenheit, dumpfen Konservatismus, lähmendes Spießertum. Wirtschaftlich ist es nicht leicht. Die Verlegerei bezeichnet er mal als Antwort auf die Aufgabe, erfolgreich ein konkursreifes Unternehmen zu führen. Die Bank sperrt den Kredit.

"Die ersten Titel blieben den bekannteren Autoren vorbehalten, beginnend mit den Erinnerungen von Kurt Wolff, gefolgt von Prosabüchern Christoph Meckels und Johannes Bobrowskis und je einem Buch von Günter Grass, Hans Werner Richter und Ingeborg Bachmann, die sich gerne an diesem Projekt eines alternativen Verlags beteiligten", erinnert sich Wagenbach später.

Sein Ziel ist ein deutsch-deutscher Verlag, kein Selbstläufer in Zeiten des Kalten Krieges. Er bringt "Die Drahtharfe" heraus, eine Auswahl aus Balladen, Gedichten und Liedern des noch weitgehend unbekannten Wolf Biermann. "Zwar wurde "Die Drahtharfe" das erfolgreichste Buch des ersten Jahres, aber es kam dem Verlag teuer zu stehen", schreibt Wagenbach im Rückblick.

Der spätere DDR-Vize-Kulturminister Klaus Höpcke rät ihm, von Biermann zu lassen. Wagenbach lehnt ab. Die Folge: Ein- und Durchreiseverbot, kaum Chancen auf weitere DDR-Autoren, zerplatzt der Traum vom grenzüberschreitenden Verlag. Auch Biermann selbst wird Wagenbach noch enttäuschen: kaum in den Westen abgeschoben, sucht sich der Dissident einen größeren Verlag.

Wagenbach steht für eine Kultur der Einmischung und des demokratischen Streits. Er gilt als Prototyp des politischen Verlegers der 68er Bewegung. Die Szene geht im Verlag ein und aus. Immer wieder gibt es Hausdurchsuchungen, Prozesse, Verurteilungen. Wagenbach sieht sich selbst als den meistangeklagten noch lebenden deutschen Verleger. Der Jurist an seiner Seite hieß Otto Schily, der spätere RAF-Anwalt und noch spätere deutsche Bundesinnenminister.

Ein Linker ist er wegen seiner "Stinkwut auf diesen Staat". Die Staatsmacht hält nicht still. Als ein Polizist 1967 den Studenten Benno Ohnesorg erschießt, nennt Wagenbach das öffentlich Mord. Mit dem Freispruch des Polizisten sieht er sich "bis heute als Einziger in dieser Sache bestraft".

Dem "Spiegel" sagt er zu Kontakten in den Untergrund: "Vor allem Ulrike Meinhof war mir nahe, aber ich habe nie verstanden, wie sie auf diesen Weg geraten ist." Wagenbach veröffentlicht Texte der späteren RAF-Terroristin, hält die Rede an ihrem Grab. Gleichzeitig bringt ihm ein Buch Peter Brückners über Meinhof eine Drohung von Gudrun Ensslin ein. Wagenbach steckt sich eine Zeit lang vorsorglich den Schlagring seines Urgroßvaters in die Tasche.

Neben der politischen Seite des Verlegers mit roten Socken an den Füßen gibt es auch den Lebemann. Für Autor Durs Grünbein ist bei Wagenbach "immer ein etwas linksabweichlerischer Sinn für Genuss im Spiel". Der Verleger gehört zur Toskana-Fraktion lange bevor der Begriff als Spott gegen SPD-Granden herhalten muss. Der Verlag hat ein starkes italienisches Programm, Pier Paolo Pasolinis "Freibeuterschriften" sind Erfolgsgeschichte.

Wagenbach steht für aufwendig gemachte Bücher, sie sollen "hundert Jahre halten". "Der unabhängige Verlag für wilde Leser" - so die spätere Eigensicht - bringt mit Hans Magnus Enzensbergers das "Kursbuch" und später den "Freibeuter" heraus. Michel Houellebecq ist Wagenbach zu kalt. "Die Ausweitung der Kampfzone" bringt der Verlag, "Elementarteilchen" wird abgelehnt. 2002 übernimmt Susanne Schüssler den Verlag, Wagenbachs dritte Ehefrau.

Einer der größten Erfolge wird 2008 Alan Bennetts "Die souveräne Leserin" - ein Buch ausgerechnet über die Queen. Die "Hundejahre" seines langjährigen Freundes Günter Grass kürzt Wagenbach. Grass bedankt sich per Widmung: "Für die fehlenden Kapitel ist der Setzer verantwortlich."

© dpa-infocom, dpa:200705-99-679068/2

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