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Abschied Kantor tritt nach 40 Jahren ruhiger

Wenn am 13. September in Seehausen Elisabeth und Friedemann Nitsch verabschiedet werden, enden nicht nur zwei langjährige Dienstverhältnisse.

Von Ralf Franke 04.09.2015, 21:00

Seehausen l Rund 40 Jahre haben beide das Leben der evangelischen Gemeinde Seehausen mit geprägt. Die Mitglieder des Kirchenfördervereins ziehen ihre Veranstaltung rund um das Projekt Türmerwohnung zum Tag des offenen Denkmals extra auf Sonnabend vor, um beim Abschiedsgottesdienst mit dabei zu sein.

Dass die Alandstadt seinerzeit Lebensmittelpunkt für die frisch verheirateten Eheleute wurde, ist „Schuld“ des studierten Kirchenmusikers, der sein Handwerk in Halle mit den Hauptfächern Chorleitung, Orgel und Klavier erlernt hatte und auf der Suche nach einer Anstellung war, die sich ihm in Seehausen bot. Sie, die frisch gebackene Diplombiologin mit sächsischen Wurzeln, folgte ihrem Mann und sattelte kurz entschlossen um, als in der Kirche gemeindepädagogische Verstärkung gesucht wurde.

Der Start des Kantors in Seehausen verlief etwas holprig, weil sein Arbeitgeber gleich zu Beginn der Anstellung erst einmal anderthalb Jahre auf seinen leitenden Musiker verzichten musste. Friedemann Nitsch wurde zur „Fahne“ eingezogen. Da er den Dienst an der Waffe verweigerte, hieß es für ihn Spaten schultern.

Danach kniete sich der heute 65-Jährige in seinen neuen Job und brachte ganzen Generationen im wahrsten Sinn des Wortes die Flötentöne bei. Aber er unterrichtete auch Klavier, Orgel, Gitarre und – seine große Leidenschaft – Posaune sowie Trompete. Als begnadeter Tenor kann er bis heute Chorsängern vormachen, was er von ihnen erwartet.

Der Kantor betreute in den Pfarrbereichen Seehausen und Beuster zahlreich Ensembles vom Flötenkreis bis zum Posauenchor, der auf seine Initiative gegründet wurde. Dazu kamen die Auftritte „seiner“ Gruppen, die musikalische Betreuung der Gottesdienste, das Organisieren von Konzertreihen, die Musical-Projekte, Büroarbeit, um zur einiges zu nennen, und schließlich der Einsatz für die Lütkemüller-Orgel, die nach vielen Sanierungsschritten seit dem vergangenen Jahr endgültig optisch und akustisch in altem Glanz erstrahlt.

Die Königin der Instrumente, räumt er rückblickend ein, war zuerst nicht seine große Liebe. Zumal es zu DDR-Zeiten illusorisch war, Sanierungsarbeiten in Angriff nehmen zu können. Auch nach der Wende sei nicht so einfach zu vermitteln gewesen, Geld für die Orgel zu akquirieren, während das Kirchendach noch undicht war. Mit dem Nach-Wende-Pfarrer Michael Kühne hatte Nitsch neben vielen anderen Helfern und Sponsoren einen Verbündeten mit kaufmännischem Geschick an der Seite. Als sich die ersten Erfolge einstellten, hatte Friedemann Nitsch „Blut geleckt“. Dass sein Name in Seehausen in einen Atemzug mit dem berühmten Orgelbauer genannt wird, akzeptiert er inzwischen mit einem Lächeln.

Nach dem Abschiedsgottesdienst wollen sich Elisabeth und Friedemann Nitsch eine ausgiebige Auszeit gönnen. Sie haben längst die logistischen Weichen gestellt und das Gemeindehaus auf dem Kirchplatz gegen eine kleine Anliegerwohnung im grünen Gürtel der Hansestadt getauscht. Ein Umzug zu einer der beiden Zwillingstöchter und deren Familien, die in Magdeburg und im Schwarzwald leben, war offenbar keine echte Option. Welchem Kind hätten sie den Vorzug geben sollen?

Während die Nachfolge der Gemeindepädagogin noch vakant ist, ist die Zukunft der Kantorei personell geregelt. Dass sich Friedemann Nitsch zurückzieht und auch die Leitung der von ihm betreuten Musikgruppen abgegeben hat, ist keine Flucht sondern normales Prozedere. Er will seiner Nachfolgerin, die ihren Dienst am 14. September, antritt das Feld zur freien Entfaltung überlassen. Dass er Sophie Tetzlaff (25) bei Bedarf gern mit Rat und Tat zur Seite steht, versteht sich für ihn von selbst.

Spätestens zur Weihnachtszeit, sagt seine Frau schmunzelnd voraus, wird es ihren Mann wieder musizierend in die Kirchen der Region ziehen. Auch, weil sich das künftige Einsatzgebiet der neuen Kirchenmusikerin bis Arendsee zieht, wird es wohl reichlich Einsatzmöglichkeiten geben.

Davon ist auch Superintendent Michael Kleemann für beide überzeugt, der angesichts der Dienstjahre von einem Lebenswerk spricht. Der erste Mann des Kirchenkreises Stendal schätzt Elisabeth und Friedemann Nitsch als bescheidene und menschliche Zeitgenossen, die ihren Glauben nicht nur weitergeben, sondern auch vorleben. Der Rückzug der Familie Nitsch sei konsequent, richtig und wichtig, um sich zu regenerieren und neue Kräfte zu sammeln.

Für den Abschied bitten die beiden Nitschs darum, keine persönlichen Geschenke zu machen, sondern Geld zu spenden, das sie einem Flüchtlingsprojekt ihrer Wahl zukommen lassen wollen.