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Nedlitzer Mumien „Sie werden sagen, das ist eine Frau“

Ein Besuch der Nedlitzer Kirche lohnt: In der Gruft sind die besterhaltenen Mumien nördlich der Alpen zu sehen. Doch es gibt noch mehr.

Von Manuela Langner 27.03.2016, 07:00

Nedlitz l Mit einem Schwert könne man Steine abhacken? Die Jungen gucken skeptisch. Aber Manfred Kuhnert lässt keinen Zweifel zu. „Mit einem großen Schwert geht das“, erklärt er und zeigt, wie die Figur am Fuß des Taufsteins Kopf und Hände mit einem gezielten Hieb verloren haben muss. „Wenn der Kopf noch drauf wäre, würde der Taufstein nicht passen“, schlussfolgern die Besucher selber.

Vor wenigen Tagen führte Manfred Kuhnert vom Förderverein Kirche St. Nikolaus Nedlitz die erste Besuchergruppe durch die Kirche, seit dem seit Ende Januar bekannt ist, dass die Mumie Frau Pforte ein Mann ist. Für die Familien Börsch und Hermann aus Zerbst war das am Ende der Führung jedoch keine Überraschung. Sie hatte die Volksstimme-Berichterstattung dazu neugierig gemacht und den Rundgang mit Manfred Kuhnert vereinbaren lassen.

Der Nedlitzer Taufstein ist das älteste Kulturgut in der Kirche. Vorher stand er im Magdeburger Dom, sei dort aber aussortiert worden, „weil er nicht ganz so wertvoll ist“. Auf dem Taufstein brennt wie bei jeder Führung die Kerze. Darauf legt der Förderverein Wert. Die Kirche sei ein lebendiges Gotteshaus und kein Museum.

Manfred Kuhnert lenkt die Aufmerksamkeit auf die Kanzel, die Frau Ortmann von Spitznaß spendete und das in Schönschrift auf dem Holz verewigen ließ. Die Nedlitzer Chronisten forschen gerade zur Familie Spitznaß, erklärt Manfred Kuhnert. Aber da die Familie nicht einmal 100 Jahre in der Region lebte, ist es schwer, noch Spuren zu finden.

Manfred Kuhnert macht einen Schritt zurück und sucht mit seiner Gruppe die vier Evangelisten. Markus, Lukas und Johannes sind leicht zu finden, aber für Matthäus braucht es noch einen Schritt zurück. Dessen hölzernes Bildnis ist nicht mehr Bestandteil der Kanzel, sondern hängt daneben. So pragmatisch wie mit den störenden Kopf und Händen war man auch mit ihm umgegangen, als die Kanzel eine breitere Treppe erhalten hatte. Kaum anders ist es dem großen Gemälde ergangen, das über den Kirchenbänken hängt. Es wurde zusammengerollt im Bauschutt bei der Turmsanierung gefunden.

Wunsch des Fördervereins ist es, das Bild restaurieren zu lassen. Manfred Kuhnert weist seine Gäste auf Details hin, die man nur sieht, wenn man weiß, wonach man gucken muss. Gemeinsam versuchen sie, den Spruch zum Bild zu entziffern: „Den Apfel süß und ...“ Mit mehr als 10 000 Euro rechnet der Verein an Kosten für die Restaurierung.

Ihre frühere Vernachlässigung sieht man der Nedlitzer Kirche schon lange nicht mehr an. Manfred Kuhnert zählt die Frauen und Männer auf, die daran wichtigen Anteil haben und beschreibt das große Engagement der einheimischen Bevölkerung. „Zu 90 Prozent sind es Leute, die sonst nichts mit Kirche am Hut hatten.“

Im Chor der Kirche gilt das erste Interesse Pfarrers Pforte. Noch heute ist sie der reguläre Eingang. Die Tür im Kirchenschiff kann nur von innen entriegelt werden. Auf der gegenüberliegenden Seite befindet sich drei Grabplatten. Sie waren unter 25 Zentimeter Sand im Kirchenfußboden versteckt gewesen und nur wiedergefunden worden, weil für das Ausrichten der neuen Kirchenbänke eine Eisenstange in den Boden geschlagen werden sollte. Die traf jedoch schnell auf Widerstand ...

Manfred Kuhnert erklärt, anhand der Bildnisse auf den Grabplatten, was es mit dem Begriff „unter der Haube“ auf sich hat. Mutter und erwachsene Tochter sind beide im August 1607 verstorben. Die Nedlitzer suchen noch nach einer Erklärung.

Im Chor ist auch ein erster Blick auf Robert Christian Hake möglich, seine Büste befindet sich neben Pfarrers Pforte. Der Geheime Rat beim Preußischen König ließ die Sarglage in der Nedlitzer Kirche anlegen. Mehr über sein Leben gibt es in der Ausstellung „Tod und Begräbniskultur“ im Kirchturm zu erfahren.

Dort lenkt Manfred Kuhnert die Aufmerksamkeit auf Frau Pforte. „Sie ist immer noch unsere hübscheste Mumie.“ Der Anthropologin Amelie Alterauge sei Johanna Juliane Pforte aber schon vor ihren eingehenden Untersuchungen verdächtig vorgekommen, berichtet Manfred Kuhnert. Der mumifizierte Körper sei zu groß für eine Frau. „Aber wenn Sie davor stehen, werden Sie sagen: Kuhnert, das ist eine Frau.“

Genauso reagieren die Besucher, als sie durch die Glasscheibe, die ihren Sargdeckel ersetzt, auf die Mumie blicken. Wie fein die Hände sind und das Kleid, das sie trägt. „Das könnte eine Frau sein.“ Frau Pforte ist aber ein Mann. Die letzten Untersuchungsergebnisse stehen noch aus. Die Wahrscheinlichkeit ist jedoch groß, dass es sich bei der bisherigen Frau Pforte um Johann Friedrich Kohnert, einem Hauslehrer, handelt. Noch ist ungeklärt, in welchem Sarg der Nedlitzer Gruft sich die richtige Frau Pforte befindet.

Dass Robert Christian Hake einen Doppelsarg benötigte, sieht man seinen sterblichen Überresten noch an. Auch als Mumie wirkt er massig. Nierenseine, Bandscheibenvorfall etc.: Seine letzte Zeit auf Erden muss eine Qual gewesen sein.

Den Zerbster Familien Börsch und Hermann hat die Führung sehr gefallen. Nicht nur der Blick auf die Mumien sei spannend gewesen, sondern die gesamte Geschichte der Nedlitzer Kirche. „Vor allem, wenn man bedenkt, wie es hier zu DDR-Zeiten ausgesehen hat.“

Jeweils mittwochs und sonnabends ab 10 Uhr sind Führungen durch die Kirche und zur Gruft möglich. Andere Termine nach Absprache ebenfalls. Die Telefonnummer lautet: 039224/978 67. WeitereInformationen unter www.kirche-nedlitz.de.