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Volkstrauertag Gedenken an die fast vergessenen Mai-Toten

In Möckern ist zum Volkstrauertag an diejenigen erinnert worden, die kurz vor Kriegsende 1945 Suizid begingen.

Von Stephen Zechendorf 19.11.2018, 06:00

Möckern l Üblicherweise bittet Möckerns Ortsbürgermeister Detlef Friedrich am Volkstrauertag die teilnehmenden Bürger zu den dafür vor Jahrzehnten errichteten Gedenksteinen in Möckern-Lühe und hinter der St.-Laurentius-Kirche.

In diesem Jahr jedoch führte er die Teilnehmer aus der Bürgerschaft, Ortschaftsrat, Feuerwehr und Patenkompanie der Bundeswehr zu einem Gedenkstein, der an der Pfarrhausmauer zum Schlosspark ein sonst unbeachtetes Dasein fristet. An dieser Mauer wurden im Mai 1945 auf gerademal 13 Metern 40 Einwohner der Stadt begraben.

Es sind Tote, die man damals nicht auf einem Friedhof beerdigen wollte. Zehn Kinder, das jüngste ein Jahr alt, Männer und Frauen, die älteste 74 Jahre alt. In den Tagen, in denen die Sowjetkräfte in Möckern einmarschierten, hatten einige Bürger aus Angst vor den einmarschierenden Truppen sich und ihre Familien umgebracht.

In der Chronik des Mö̈ckeraner Chronisten Erich Wilke sind die Geschehnisse dieser Tage aufgeführt. Im Gedächtnis der heutigen Stadt Möckern und deren Bewohnern dagegen längst verblasst. Hätte nicht das ehemalige FDP-Stadtratsmitglied Rolf Strobach im Jahr 2008 auf eigene Initiative und Rechnung eine Gedenktafel an der Mauer angebracht, wüsste jetzt schon kaum einer mehr von den 40 Toten an der Mauer. Auf dieser Tafel steht ein Satz, den der Möckeraner Schriftsteller Helmut Bürger ersann: „Zerstörte Lebensläufe – Was wäre aus ihnen geworden? – Ruhestätte von 40 Möckeraner Einwohnern“.

Es ist eine Frage, die zum Nachdenken anregt – wenn man die Geschichte vom Mai 1945 denn kennt. „Ich wollte die Möckeranern an diese Ereignisse wieder erinnern“, sagt Möckerns Ortsbürgermeister Detlef Friedrich, Neffe von Rolf Strobach. „Ich selber hätte Worte zu den damaligen Ereignisssen heute wohl gar nicht über die Lippen gebracht“, sagt Friedrich. Er bat daher seinen ehemaligen Klassenkameraden Thomas Gerlach aus Tryppehna, darüber zu reden. Gerlach schrieb im Jahr 2015 eine Reportage über die Toten an der Mauer für die Tageszeitung TAZ.

Eine gekürzte Version trug er am Sonntag in Möckern vor: In seinem Bericht geht es auch um die vermutlichen Gründe für die schreckliche Entscheidung der Ausführenden in den ersten Tagen des Mais 1945: „Angst, Propaganda, Schuldgefühle, alles verstärkt von einer düsteren Hysterie, haben die Menschen in den Tod getrieben. Angst vor Rache, weil die Deutschen ahnten, wie Söhne, Väter und Brüder in den eroberten Gebieten gewütet hatten.“

Es ist die Angst um die eigene Familie, die Töchter, die Frauen, die Kinder: „Etwa 2000 Einwohner hatte Möckern 1945, zwei Prozent der Bewohner hatten sich binnen Tagen das Leben genommen oder wurden von ihren nächsten Angehörigen getötet. Lehrer, Tierarzt, Apotheker, Zahnarzt, Kaufmann, Rentmeister, Drogist – viele gehörten zur kleinen Oberschicht der Ackerbürgerstadt. Sie wurden im Park begraben – und vergessen“, zitiert Thomas Gerlach seine Reportage. Ein Stück weit wurden diese Menschen und ihre Geschichte nun wieder aus dieser Vergessenheit hervorgeholt.