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Gefängnis  Unter Gewalttätern im Burger Knast

Um Straftätern Wege aus der Gewalt aufzuzeigen, wird in Burg das Anti-Gewalt-Training angeboten. Redakteurin Juliane Just war dabei.

Von Juliane Just 08.07.2018, 09:00

Burg l Schwere Türen fallen hinter mir laut ins Schloss. Erst eine, dann zwei, irgendwann zehn. Ein ungewohntes Gefühl macht sich breit – von nun an bin ich immer in Begleitung, nicht mehr frei. Ich werde in einen weiß gestrichenen Raum geführt. Die Gitterstäbe am Fenster schlucken einen Teil des Lichts. Acht blau gekleidete Männer betreten den Raum. Das sind die acht Insassen, mit denen ich es heute zu tun habe – und sie haben alle etwas verbrochen, sind als gewaltbereit eingestuft. Das Anti-Gewalt-Training kann beginnen.

Die Gefangenen setzen sich, ein Stuhlkreis wird gebildet. Die Teilnehmer sind überwiegend jung, teils mit Tattoos an Armen und Beinen verziert. Ihre Körpersprache suggeriert, dass hier harte Kerle sitzen. Es wirkt einschüchternd. Ich schaue in ihre Augen und frage mich, was sie getan haben. Warum sind sie hier? In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Burg sitzen Straftäter, die zu Freiheitsstrafen über drei Jahren verurteilt worden sind. Keinem sieht man seine Taten an. Klar ist nur: Sie sind hier, um Strategien zu lernen, ein gewaltfreies Leben zu führen.

Immer mittwochs treffen sich die Insassen circa vier Stunden zum Anti-Gewalt-Training. Dabei handelt es sich um eine Intensivmaßnahme, um die Insassen wieder in die Gesellschaft einzugliedern und auf eine Zukunft ohne Gewalt vorzubereiten. Es richtet sich an gewaltbereite oder durch Gewaltstraftaten auffällig gewordene jugendliche, heranwachsende und erwachsene Gefangene. Ein ausgebildeter Trainer leitet das Programm.

„Wir beginnen mit dem Wochenrückblick“, sagt Torsten Theele, seit 2013 ausgebildeter Anti-Gewalt-Trainer. Gemeinsam mit einer Co-Trainerin leitet er die Sitzungen. Nacheinander erzählen die Männer von Freuden und Ärgernissen der vergangenen Woche. Es geht um Haftbesuche, um Briefe von der Außenwelt, um die Arbeit innerhalb der Gefängnismauern. Die Gäste, die mit im Raum sitzen, erzählen von Terminen, von Ausflügen und Zeit mit der Familie. Die Welten innerhalb und außerhalb der Gitterstäbe könnten nicht unterschiedlicher sein.

Einer der Insassen, der von seiner Woche berichtet, hat mit anderen Sorgen zu kämpfen. Roman L.* hat eine Woche zuvor seine Mutter verloren. Er hat es hinter Gittern erfahren, konnte sich nicht verabschieden. „Ich habe meiner Mutter einen Brief geschrieben und mich für die Sorgen entschuldigt, die ich ihr Zeit meines Lebens bereitet habe“, sagt er mit zittriger Stimme. Sein Kopf senkt sich, er schluckt, Tränen laufen über sein Gesicht. Sein Sitznachbar legt ihm die Hand auf die Schulter. Eine innige Geste unter Männern, die sonst rabiater miteinander umgehen.

Es sind Situationen wie diese, die zeigen, dass keiner dieser Männer kaltblütig ist. Der gewaltbereite Straftäter ist in diesem Moment ein trauernder Sohn. Roman L. ist 37 Jahre alt und hat in seinem Leben Dinge erlebt, die die Vorstellungen Gleichaltriger übersteigen. Seine Biografie weist mehrere Brüche auf und ist geprägt von Gewalt, Enttäuschungen und Verletzungen. Der Teufelskreis beginnt in seiner Kindheit, als sein Vater eine Waffe auf ihn richtet und abdrückt. Jahre später wird der Sohn sie selbst gegen jemanden richten.

Dabei sieht Roman L. gar nicht danach aus. Der Blick aus den braunen Augen ist offen, als wir miteinander sprechen. Er hat kurz rasierte Haare, mehrere Ringe zieren sein Ohrläppchen, keine weiteren Auffälligkeiten. Zwei Mal wurde der 37-Jährige inhaftiert, zwei Mal lautet der Vorwurf schwere räuberische Erpressung, zwei Mal hat er Menschen verletzt.

Wie die anderen Insassen muss Roman L. lernen, mit seinen Aggressionen umzugehen und Konfliktsituationen gewaltfrei zu lösen. Das Anti-Gewalt-Training ist modular aufgebaut. In den verschiedenen Bausteinen sollen die Täter lernen, die begangenen Straftaten realistisch zu betrachten. Es gibt Trainingseinheiten zu Körpersprache, Kommunikation, Deeskalation und Empathie. Hinzu kommen Entspannungsübungen, Anti-Blamier-Übungen und Rollenspiele.

In die Mitte des Stuhlkreises wird ein Tisch gerückt. Er wird mit einer Tischdecke bedeckt, eine Blumenvase und Teller vervollständigen die Kulisse: Ein Restaurant. Einer der Insassen soll sich nun vorstellen, er sei aus der Haft entlassen und treffe sich mit einer Dame zum Abendessen. Aufgabe: Komme mit ihr ins Gespräch. Der Insasse spricht im Rollenspiel locker mit seinem Gegenüber. Plötzlich betritt eine vermeintliche Bekannte der Dame das Restaurant. Sie beäugt deren Begleitung und sagt: „Das ist doch ein Knasti, oder? Der sieht doch schon so aus!“

Anbahnende Gewaltsituationen wie diese gilt es, zu bewältigen. „Wie hat sich das für Sie angefühlt?“, fragt Torsten Theele den Probanden. Auch wenn der Insasse antwortet, die Beleidigungen hätten ihm nichts ausgemacht – seine Körpersprache vermittelte etwas anderes. Die Arbeit an der Aggression ist für die Insassen ein Ringen mit der Vergangenheit, das spürt man.

„Man kann die Entwicklung der Insassen über die Zeit des Programms beobachten“, sagt Torsten Theele, der bereits die zweite Gruppe der JVA Burg durch das Anti-Gewalt-Training führt. Wichtig sei, dass die Insassen untereinander Vertrauen entwickeln, nur dann sei eine zielgerichtete Gruppenarbeit möglich. Sechs bis neun Monate haben sie dafür Zeit, denn so lange dauert die Intensivmaßnahme.

Aus der Taufe gehoben wurde das Anti-Gewalt-Training vom Magdeburger Sozialpädagogen Tim Marx. Er konzipierte das Training 2007 in Zusammenarbeit mit der Magdeburger Akademie für praxisorientierte Psychologie. Insgesamt 28 Personen wurden landesweit zu Anti-Gewalt-Trainern ausgebildet, darunter Landesbedienstete des Allgemeinen Vollzugsdienstes, Psychologen und Sozialarbeiter der Justizvollzugsanstalten. Seit 2012 wird das Training in ganz Sachsen-Anhalt angewandt.

„Ich merke, dass ich das Training brauche“, sagt Roman L.. Die Wut in seinem Bauch sei seit der Teilnahme kontrollierbarer geworden. Eine Sitzung ist dem Straftäter besonders im Gedächtnis geblieben. Zu Gast war ein Gerichtsmediziner, der von Verletzungen und deren Folgen für die Opfer berichtete. „Mir wurde die Schwere meiner Taten vor Augen gehalten. Die Verletzungen der Opfer hätten auch zum Tod führen können“, sagt Roman L.. Und obwohl seine Opfer keine bleibenden Schäden von den Gewalttaten davongetragen haben, bereue er die seelischen Schäden, die bleiben. Den Insassen verdeutlichen, was sie getan haben – auch das ist Teil des Anti-Gewalt-Trainings.

Wenn er Mitte des Jahres 2020 entlassen wird, will Roman L. zu seiner Freundin ziehen, einer geregelten Arbeit nachgehen, möglichst nicht wieder dem Alkohol verfallen. Bis dahin wird sich dieses „Draußen“ für ihn nach einem weit entfernten Ort anhören, der irgendwo hinter dem Stacheldraht beginnt. Bis dahin will er weiter an sich arbeiten, auch wenn er seine Taten nicht rückgängig machen kann.

*Name von der Redaktion geändert