1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Burg
  6. >
  7. Ein Mann und seine 65 Kinder

Kinderbetreuung Ein Mann und seine 65 Kinder

Holger Franke ist eine Rarität im Landkreis. Als einziger Mann leitet er eine Kita im Jerichower Land.

Von Tobias Dachenhausen 16.07.2016, 06:00

Gerwisch l Die Räume der Europa Kita in Gerwisch leuchten in strahlenden Farben. Auf den zwei Etagen des Gebäudes wuseln die vielen Kinder umher. Im oberen Stockwerk sitzt Holger Franke mit drei Kindern auf der Couch und liest aus einem Buch vor. Andere Kinder beschäftigen sich mit verschiedenen Bastel-, Spiel- und Lernmaterialien. „Die Kinder sollen spielerisch lernen. Mit den vorliegenden Materialien ist eine sofortige Fehlerkontrolle möglich“, macht der 42-Jährige das Lernprinzip deutlich. Was er auf seinen vorherigen Stationen gut fand, hat er mit nach Gerwisch gebracht. „Hier kann ich jetzt meine eigenen Ideen und Visionen umsetzen“, sagt Franke. Denn der Magdeburger leitet als einziger Mann im Jerichower Land eine Kita.

Bereits in seiner Ausbildung zum staatlichen Erzieher war Holger Franke einer von drei Männern, beim Studium zum Leiter war er einer von zweien. Das Montessori-Diplom hat er als einziger Mann absolviert. „Also mir war das schon bewusst, dass es keine Männerdomäne ist“, sagt er mit einem Lächeln im Gesicht. Erst mit 30 Jahren hat der heute 42-Jährige umgeschult. Zuvor war er als Lehrer für Gesundheit und Sport im Reha-Bereich tätig. „Es hat mir immer Freude bereitet, mit Menschen zu arbeiten. Aber mir fehlte einfach der pädagogische Aspekt. Ich wollte nochmal was anderes machen“, blickt er zurück.

Worauf Holger Franke heute blicken kann: Er hat sich in den knapp fünf Jahren, in denen er jetzt in Gerwisch ist, verwirklicht. Dazu zählt ein Raumkonzept mit verschiedenen Kreativ- und Ruheecken. In allen Räumen sind die Regale offen, damit die Kinder immer Zugang zu den Sachen haben. Einmal im Jahr geht es ins Ferienlager, einmal pro Woche in den Wald und in die Turnhalle. „Die Kinder müssen auf Achse sein und auch am Leben partizipieren“, erklärt Franke. Es gehe nicht immer, dass man Richtlinien streng durchsetzt. Es müsse stets auch individuell je nach Kind und Team entschieden werden. Und sein zehnköpfiges Team zieht mit, wie er sagt. „Ob ich jetzt Dinge als Kita-Leiter anders mache als eine Frau, das müssen andere beurteilen“, sagt er.

„Ich merke keinen Unterschied“, macht Erzieherin Jenny Thurand deutlich. Jedoch: Durch den männlichen Leiter würden auch eher männliche Kollegen oder Praktikanten in die Kita nach Gerwisch kommen. „Die finden es gut, wenn noch ein Mann vor Ort ist“, sagt Thurand. Selbstverständlich sei die Sache nicht, weiß auch Kollegin Claudia Scholl. „Als Mann geht er die Dinge vielleicht etwas praktischer an, aber sonst spielt das keine große Rolle, ob eine Frau oder ein Mann die Kita leitet. Es liegt auch viel am Charakter der Person“, betont sie. Als Perfektionisten beschreibt die Englischlehrerin Rose Sharon Hartig ihren Chef. Sie überlegt allerdings nicht lange, um einen passenden Vergleich für das Verhältnis der Kollegen zum männlichen Leiter zu beschreiben. „Er ist die Vase, die uns Blumen immer festhält“, sagt sie mit einem Lächeln im Gesicht. Und der Unterschied zu einer Frau als Leiterin: Frauen würden mit manchen Dingen lockerer umgehen. „Er ist strenger und legt sehr viel Wert auf Ordnung“, erzählt sie.

Die Kinder in der Europa Kita in Gerwisch kommen ab elf Monaten bis zum Eintritt in die Schule in die Gerwischer Einrichtung, die sich vor allem eine frühe Mehrsprachigkeit, Internationalität und Interkulturität sowie das frühe Wecken des Interesses an naturwissenschaftlichen und mathematischen Zusammenhängen auf die Fahnen geschrieben hat. Die Umschulung war für Holger Franke ein Glücksfall. Die Arbeit mit den Kindern beschreibt er als Geschenk. „Sie sind dankbar, haben keine Vorurteile und jeder Tag mit ihnen ist eine Entdeckung“, schwärmt der Vater einer zwölfjährigen Tochter von seiner Tätigkeit.