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Kontrovers Kopftuch-Spruch kostet Kurze die Mitte

Mit seiner Kopftuch-Aussage sorgt Burger CDU-Landtagsmitglied Markus Kurze für Wirbel. Ein Stimmungsbild.

Von Marco Hertzfeld 04.07.2018, 08:00

Burg l Es ist ungewöhnlich frisch an diesem Tag. Einige Männer tragen Hut, die Jüngeren von ihnen vor allem Schirmmütze. Es ist 9.45 Uhr. Auf der Schartauer Straße, der Einkaufsmeile in Burg, sind eine Frau und ein Mann gemeinsam unterwegs. Die Frau trägt Kopftuch. Sie haben es eilig und keine Zeit für Fragen. Kurz vor 11 Uhr geht es denselben Weg zurück, nichts. Am Nachmittag gegen 15 Uhr ein weiterer Versuch. Eine Frau mit Kopftuch steht vor einem Geschäft. Das CDU-Büro ist nur einen Steinwurf entfernt.

Von einem Herrn Kurze hat Rana Baker, eine Syrerin, noch nie etwas gehört. „Wir sind seit drei Jahren hier und lernen Deutsch“, sagt die 30-Jährige, als wolle sie sich für die noch vielen fehlenden Vokabeln entschuldigen. Ihr Kopftuch trage sie häufig und draußen in der Öffentlichkeit sowieso. „Warum?“, wiederholt die Mutter zweier Kinder eine weitere Frage der Volksstimme, überlegt einige Sekunden und antwortet: „Der Islam.“

Markus Kurze, Landtagsabgeordneter der Christdemokraten und Stadtratsvorsitzender, hatte sich in dieser Zeitung neben weiteren führenden Christdemokraten Sachsen-Anhalts zum unionsinternen Streit über die Flüchtlingspolitik geäußert.

Der Wortlaut vom 18. Juni noch einmal ganz genau: „Wer nicht hierher gehört, muss nach Hause. Darüber können wir nicht drei Jahre reden. Es ist viel Druck auf dem Kessel. Wenn ich durch die Burger Innenstadt gehe, sehe ich nur noch Kopftücher.“ Insbesondere der letzte Satz des Landtagsabgeordneten bleibt haften, provoziert in Kurzes Heimatstadt Burg Widerspruch wie Sympathie.

Allard von Arnim, Kreisvorsitzender der FDP, sieht „hierzulande relativ wenige Flüchtlinge, deutlich weniger als im Westen“, und mahnt zu einem „differenzierten Bild“. Die großen Sorgen müsse Kanzlerin Angela Merkel auf europäischer Bühne lösen. „Wer als Flüchtling kommt und zurecht bei uns ist, ist schon arm dran. Da braucht es nicht diese Sätze eines CDU-Mannes. In Burg gegen diese Menschen zu hetzen, geht gar nicht.“

Kay Gericke ist nach eigenen Angaben selten in der Burger Innenstadt. Und am liebsten möchte sich der Kreisvorsitzende der Sozialdemokraten zu dem Thema auch nicht großartig äußern. „Nur so viel: Das muss und soll der Kollege der CDU einfach mit sich selbst ausmachen.“

Kerstin Auerbach, die Kreis-chefin der Linken, will sich gleich am Tag nach Kurzes Äußerung selbst ein Bild in Burg gemacht haben. „Was ich gesehen habe und nach wie vor sehe, sind Vielfalt und momentan natürlich sehr viele Laga-Besucher“, sagt sie der Volksstimme. Am besagten Tag sei ihr eine Frau mit Kopftuch in der Innenstadt begegnet. „Und die habe ich auch persönlich noch gekannt.“

Gordon Köhler, Chef der erzkonservativen AfD im Jerichower Land, hat Kurzes Worte nach eigenem Bekunden noch genau in Erinnerung. „Das von ihm gezeichnete Bild halte ich für übertrieben. Dass hier und da in Burg Einwanderer zu sehen sind, stimmt. Doch da gibt es ganz andere Hotspots, den Hasselbachplatz in Magdeburg beispielsweise oder ganze Städte wie Berlin und Duisburg. Herr Kurze übertreibt, wenn es um Flüchtlinge in Burg geht.“

Nils Rosenthal will Kurzes Worte noch nicht gekannt haben. Der Kreisvorsitzende der Bündnisgrünen: „Es verschlägt mir die Sprache. Die paar Leute, die bei uns leben. Die Aussage dieses Christdemokraten ist lächerlich. Auf diese Art gegen Ausländer zu wettern, halte ich für eine Schweinerei. Herr Kurze sollte sich dafür schämen.“ Kürzlich sei er mit seinen Kindern in Berlin gewesen. „Was man dort an Vielfalt sieht, finde ich toll.“

Die CDU-Kreisvorsitzende Andrea Gottschalk stellt sich hinter Kurze und sieht ihren Parteifreund „von den Sorgen getrieben, die das Thema Flüchtlinge nun einmal schafft“. Und überhaupt: „Es ist ja nicht von der Hand zu weisen, dass es in Burg und in gewissem Maße auch noch in Genthin einen Schwerpunkt gibt. Dazu haben wir uns hier im Landkreis ja auch politisch bekannt. Der Anteil von Flüchtlingen und Asylbewerbern ist dort größer als etwa in Möser oder Biederitz. Dort werden ausländische Bürger schon zahlenmäßig nicht so wahrgenommen wie in der Kreisstadt Burg.“

Kurze selbst bekräftigt derweil seine Worte. Wobei es ihm nicht unbedingt um die genaue Anzahl von Kopftüchern gegangen sei. Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU-Landtagsfraktion auf Nachfrage der Volksstimme: „Kopftücher sind für mich und viele Bürger das Zeichen für die verfehlte Flüchtlingspolitik der letzten Jahre. Das bewegt die Menschen und sie erwarten, weil sie mich gewählt haben, dass ich dies in die Politik hineintrage.“

Nach den aktuellsten Berechnungen der Statistischen Landesamtes leben 3165 Ausländer im Jerichower Land. Ihr Anteil an der Gesamtbevölkerung (90 692) liegt damit bei gut 3,5 Prozent. Zum Vergleich: Im Altmarkkreis Salzwedel mit nicht ganz so vielen Einwohnern machen sie ebenfalls 3,5 Prozent aus, im Landkreis Stendal gleich nebenan 3,7 Prozent. In Dessau-Roßlau liegt der Anteil bei 5,4 Prozent, in Magdeburg bei 8,5 und in ganz Sachsen-Anhalt bei 4,6. Mit Ausländer ist zum Beispiel auch der EU-Staatsangehörige gemeint, also Pole, Rumäne und andere.

Landkreissprecherin Claudia Hopf-Koßmann lässt tiefer in die Zahlen schauen. Demnach leben derzeit 95 Asylbewerber im Jerichower Land, darunter 22 Mädchen und Frauen. Im Januar 2016 war hier mit 690 Personen der Höchststand erreicht. Seitdem sinkt die Zahl. 869 Menschen, davon 366 weiblich, haben aktuell einen positiven Bescheid in der Tasche und sind von den Behörden anerkannt, der bisherige Höchststand. Hinzu kommen noch 176 Leute, darunter 36 Mädchen und Frauen, die geduldet sind und wahrscheinlich das Land verlassen müssen. Der Höchststand hier: 190 Personen im August 2017.

Besondere Aufmerksamkeit erfahren Menschen aus Krisen- und Kriegsgebieten. Aktuell leben 397 Flüchtlinge (nach Paragraf 25, Absatz 2, Aufenthaltsgesetz) im Landkreis, fast alle stammen aus muslimischen oder zumindest muslimisch geprägten Ländern, in denen das Kopftuch weit verbreitet ist. Die meisten kommen nach wie vor aus Syrien. Unter den 316 Menschen sind 98 Mädchen und Frauen. Afghanen bilden die zweitgrößte Gruppe. Hopf-Koßmann zählt 33 Menschen, davon sind sechs weiblich. Unter den 19 Flüchtlingen aus Eritrea befinden sich zwei Frauen, unter den zehn aus der Türkei fünf, unter den sechs aus dem Iran drei und unter den vier aus dem Irak noch einmal zwei. Weitere Flüchtlinge kommen aus Somalia, Russland, Bangladesch und Pakistan. 33 sogenannte minderjährige unbegleitete Flüchtlinge sind aktuell im Jerichower Land registriert, in der zweiten Hälfte des Jahres 2016 waren es 73.

In der Gemeinschaftsunterkunft des Landkreises in Burg sind 112 Menschen untergebracht und dezentral noch einmal 158, das heißt konkret: 115 im Paddenpfuhl (Burg), 28 in Genthin und 15 in Brettin. Unter den insgesamt 270 Leuten befinden sich 73 Mädchen und Frauen.

Die Volksstimme haben zahlreiche Leserbriefe und Wortmeldungen von Bürgern erreicht, einige Auszüge: Joachim Gremmes aus Burg fuhr beim Lesen der Aussage Kurzes „ein eisiger Schreck durch die Glieder“. Er zählte nach eigenen Angaben zwischen 10 und 11 Uhr bei 100 Frauen zwei mit Kopftuch. Ein Landtagsabgeordneter hätte eine solche Aussage lieber nicht getan, findet er. „Oder steckt da ein Kalkül dahinter?“

Damit Kurzes Sichtweise stimme, müssten sich Tausende Burger Bürgerinnen mit Kopftuch versehen haben, ist Peter Lehmann überzeugt. Die Zahl der Asylbewerber und Flüchtlinge reiche dafür nicht aus. Der Wernigeröder möchte sich beim Gang durch die Stadt beim Besuch der Landesgartenschau selber überzeugen.

Rüdiger Oppermann aus Gerwisch sieht in Kurzes Worten „billigste Stammtischparolen“. Ihm begegneten in der Fußgängerzone ganz überwiegend Menschen, und die wenigsten trügen Kopftücher. Und: „Nicht alle CDU-Wähler machen sich die Rattenfänger-Positionen der AfD zu eigen.“

Edelgard von Diemar stimmt Kurze zu, auch wenn er sich etwas überspitzt ausgedrückt habe. „Kopftücher sind es ja nicht, die störend wirken. Schlimmer ist der Hintergrund, die Einstellung der Trägerinnen.“ Kriege und Nöte mögen in den Herkunftsländern der Asylbewerber beendet werden, damit diese in die Heimat zurückkehren könnten.

Gabriele Kirchschlager aus Güsten (Salzlandkreis) berichtet von ihrer Oma, die einst von Apolda nach Güsten gezogen sei. „Meine Oma trug einen Hut, denn in Apolda war das so üblich. Die Güstener Frauen trugen Kopftücher.“ Und diese Frauen hätten ihrer Oma das Leben schwer gemacht. Auch Menschen aus ganz anderen Kulturkreisen brauchten Hilfe, um sich einleben zu können.

Sebastian Fischer aus Burg sieht Kurze im Recht. „Er hat es gewagt, seinen Unmut über die jahrelangen Diskussionen in Berlin zu Abschiebungen und Zurückweisungen von abgelehnten Migranten zu äußern.“ Und: „Mit dem Hinweis auf viele Kopftuch tragende Frauen melden sich die wieder zu Wort, die auf beiden Augen blind sind.“

Irritiert über Kurzes Aussage zeigt sich Hans Werner Siebert. Er komme täglich mehrmals durch die Innenstadt und könne Kurzes Eindruck nicht nachvollziehen. „Viel Platz nach noch weiter rechts ist das nicht auszumachen.“

Peter Gümbel aus Burg verweist auf das Grundgesetz, das festlege, wer hierher gehört. „Politisch Verfolgte aus anderen Ländern gehören ausdrücklich dazu.“ Und weiter: „Sie dürfen durch unsere Straßen gehen und dabei Kopftücher tragen, wie es ihrer Kultur entspricht.“