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Modellversuch Wenn der Deich in Biederitz bricht

Was passiert bei Hochwasser mit einem Deich? Das erfuhren Führungskräfte von Feuerwehr und Wasserwehr aus Biederitz bei einem Modellversuch.

Von Christian Luckau 10.02.2019, 04:00

Biederitz l Die Gemeinde Biederitz hat viele Kilometer Deiche entlang ihrer Gemarkungsgrenze. 2002 ist einer dieser Deiche schon einmal gebrochen, 2013 war es kritisch. Grund genug für die Gemeinde, eine Schulung der besonderen Art zu organisieren, bei der die Mechanismen eines Deichbruches anschaulich verdeutlicht wurden.

An der Hochschule Magdeburg-Stendal empfing die Führungskräfte deshalb Professor Bernd Ettmer, der Wasserbau an der Hochschule unterrichtet. Im Wasserbaulabor demonstrierte er mit seinen Kollegen, welche Kräfte bei einem Deichbruch auftreten und wie dieser abläuft.

„Was wir hier in den nächsten 30 bis 45 Minuten sehen, geschieht in Wirklichkeit in drei bis fünf Tagen. Dabei ist sehr schön zu sehen, was in der Natur vor sich geht“, so der Professor zu den anwesenden Mitgliedern der Gemeindefeuerwehr.

Die Deichbruchsimulation im Wasserbaulabor war dabei auf ein Extremhochwasser ausgelegt, um dabei die Deichgefahr und die Gefahr eines Deichbruchs darstellen zu können.

Für Ettmer steht fest: „Homogene Deiche, also solche mit nur einem verbauten Material, die aus Sanden und nicht aus Auelehm bestehen, sind besonders gefährdet zu brechen.“ Dabei ist vor allem die Durchnässung der Deiche, die von außen nicht zu sehen ist, eine Gefahr, weil damit auch das Hinterland durchnässt wird, was eine Deichverteidigung von der Landseite schwierig bis unmöglich macht. Genau das haben die Feuerwehren aus Biederitz auch 2002 und 2013 erlebt.

Der Deichbruch aber geschieht nicht aufgrund der Durchnässung an sich. „Klares Wasser ist kein Problem, dann ist die innere Struktur stabil, weil kein Material ausgespült wird“, so Ettmer. Ein Achtungssignal sei aber laut dem Professor trübes Wasser. Mit diesem würde Material herausgespült, was darauf schließen lässt, dass die innere Struktur beginnt sich aufzulösen. „Das ist dann schon kritisch, dann muss begonnen werden, den Deichfuß zu stützen“, so Ettmer weiter. Der zeigte anhand einer Grafik, was er damit meinte und verwies auch gleich auf die Wichtigkeit von Deichläufern. „Risse in der Deichkrone zeugen von einem hydraulischen Grunddruck, der am Ende dafür sorgt, dass der Deich sich in Richtung Fuß wegschiebt“, erklärte er den Feuerwehr- und Wasserwehrmitgliedern.

Für aus Lehm gebaute Deiche sieht Ettmer aber weniger Gefahren. „Hier wäre es ockerfarbenes Wasser, das ein Indikator dafür ist, das Lehm ausgespült wird“, erklärte er.

Der Professor verwies aber auch noch auf einen anderen Umstand. Alte Deiche hätten ein Deichprofil von 1:2 im Gefälle. Die Sickerlinie bei einer Durchnässung würde sich aber 1:3 durch den Deich ziehen. Das und der enorme Auftrieb des Deichmaterials durch den Wasserdruck würde zum Abbrechen von Teilen des Deiches und letztendlich auch zu deren Brechen führen.

Aus diesen Erfahrungen, so erklärt Ettmer, hätten die Wasserbauer gelernt. Neue Deiche würden im Profil 1:3 mit einem viel breiteren Deichfuß von 40 bis 45 Meter Breite angelegt. Alte Deiche hätten Deichfüße von rund 20 Metern.

Genau so einen alten Deich, aus homogenem Material, hatten die Wasserbauer an der Hochschule im Maßstab 1:10 aufgebaut und zeigten den Anwesenden möglichen Deichverteidigern über Farbindikatoren, wie das Durchnässen eines Deiches abläuft, wie die Sickerlinie verläuft und letztendlich auch, wie der Deichbruch an sich vonstatten geht.

Der läuft immer nach dem gleichen Muster ab: Risse, Durchsickern, Abbrechen von Teilen des Deiches und letztendlich der eigentliche Bruch. Der ist, so zeigen die Untersuchungen, immer zwischen 90 und 100 Meter breit und weist einige physikalische Besonderheiten auf, die die Rettungskräfte kennen sollten.

Wegen der hohen Wassersäule von gut vier Metern auf der Wasserseite würde das Wasser bei einem Deichbruch Geschwindigkeiten rund 8 bis 9 Metern pro Sekunde erreichen. „Da können sie hineinwerfen was sie wollen, da bleibt nichts liegen“, meinte der Professor. Zum Vergleich: Die Elbe fließt im Schnitt mit einem Meter pro Sekunde.

Beim Versuchsaufbau selbst wurde die extremste Situation eines Hochwassers simuliert. Der Kronenstau. Bei diesem wird das Wasser regelrecht in den Deich hineingesogen.

Für Ettmer haben die vielen Hochwasser der letzten 20 Jahre einen Grund. „Bei gleichem Abflussereignis steigen die Pegel und das deshalb, weil die Deiche immer dichter an die Flüsse herangebaut werden.“

Er erklärte aber auch: „So ein Hochwasser wie 2013 kann jederzeit wieder auftreten.“ Verweist aber auch darauf, dass die Hochwasserhäufigkeit in den letzten 20 Jahren zwar zugenommen habe, in einer längeren Zeitlinie aber nicht. Auch das würde zur Aussage: „Die Deiche sind zu dicht an den Flüssen gebaut“ passen.

Mit dem an Praxis angereicherten Wissen um das Deichverhalten bei einem extremen Hochwasser verschafften sich die Führungskräfte laut Gemeindewehrleiter Karsten Kiwitt ein Erlebnis, an das sie sich immer erinnern werden. „Besser als in der Veranschaulichung kann es keiner darstellen. Das hat einen echten Mehrwert“, erklärte Kiwitt, nachdem der Professor seine Ausführungen beendet hatte. Für Gemeindebürgermeister Kay Gericke (SPD) war es wichtig, das Szenario eines Deichbruchs persönlich anzuschauen. „Wir haben gesehen, wie ein Deichbruch gewöhnlich abläuft und welche Maßnahmen wir dagegen ergreifen können. Das war ein wichtiger Punkt“, meinte er.

Zur Verteidigung des Hinterlandes hatte Ettmer aber noch andere Tipps. Deiche können angebohrt werden, um deren Aufbau zu kennen. Ist der Deichbruch nicht mehr zu verhindern, so sollten linienhafte Strukturen wie Straßen zur Verteidigung des Hinterlandes genutzt werden, indem dort aufgebaut wird. Zudem verwies der Professor darauf, dass es sinnvoll ist, Geländeschnitte vorliegen zu haben, falls eine Hinterlandflutung zu befürchten ist. Klar ist für ihn aber auch: Nicht höhere Deiche nutzen etwas, sondern Polder. Bei höheren Deichen würde das Hochwasserereignis nur weitergereicht.

Die Region um Magdeburg hätte ohnehin die höchsten Pegel zu erwarten, weil viele Flüsse in die Elbe münden und die Abflussmengen dadurch weiter erhöht werden. Bei 5000 Kubikmeter Wasser pro Sekunde stände der Pegel in Magdeburg bei mehr als sieben Metern, erklärte der Professor.