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Rechtsextremismus Täter und Opfer in einer Stadt

Youssef* (Name geändert) aus Syrien war 2016 in Burg angegriffen worden. Er wohnt immer noch in der Stadt. Mindestens einer der Täter auch.

Von Susanne Klose 13.03.2019, 00:01

Burg l Manchmal denkt er noch an diesen Vormittag. Auch fast drei Jahre danach. Youssef war draußen, vor seinem Haus. Es war kurz vor Mittag, Youssef erinnert sich noch genau. Ein Kind aus der Nachbarschaft lief an ihm vorbei. „Es war auf dem Weg zum Supermarkt von Neo-Nazis beschimpft und bespuckt worden“, erinnert sich der ruhige Mann. Zwei, drei Männer im Alter von etwa 25 bis 30 Jahren hatten das Kind bedroht: Halt die Klappe oder wir bringen dich um.

Nicht nur Youssef hatte diesen Zwischenfall mitbekommen. Auch ein weiterer arabischer Mann war darauf aufmerksam geworden. Mit dem Kind redeten sie über den Vorfall, die aggressiven Männer entfernten sich, scheinbar. „Ich bin dann zurück Richtung Haustür“, erzählt Youssef. Er habe nicht gedacht, dass die Männer Probleme machen würden.

Aber sie kamen zurück, aus zwei, drei wurden sieben Männer. Youssef bemerkte sie erst, als sie hinter ihm im Hauseingang standen. Pfefferspray, ein Schlag mit der Faust auf die Nase. Überall Blut. Einer habe ein Messer gehabt, das hat Youssef ihm aus der Hand getreten. Dann flüchtete der Syrer in den Keller des Hauses. „Ich konnte nicht richtig atmen.“

Die Angreifer rannten weg – kurze Zeit später hörte Youssef Schreie. Die Rechtsradikalen sprühten auch dem anderen arabischen Mann Pfefferspray ins Gesicht. „Ich habe mir ein Kantholz geschnappt und bin ihm zu Hilfe gekommen.“ Die Rechtsradikalen rannten weg, Youssef schmiss das Holz hin, half dem Mann. Erst ging Youssef zur Polizei, dann ins Krankenhaus. Die polizielichen Ermittlungen dauerten fast ein Jahr. „Von den sieben Tätern wurden nur zwei angeklagt“, erklärt Youssef.

Das Urteil ergeht im November 2017: Schmerzensgeld wegen gefährlicher Körperverletzung in zwei Fällen. Von den sieben Tätern werden nur zwei angeklagt. Einer davon ein polizeibekannter Mehrfachtäter. „Seine Akte war so dick wie ein Buch“, erinnert sich der Syrer. Wie Youssef das Urteil heute empfindet? Er denkt lange nach. „Der Richter hat den Angriff nicht als politisch motiviert eingestuft.“

Kein Einzelfall, wie eine Sprecherin der Mobilen Opferberatung der Volksstimme gegenüber bestätigt. „Wir haben es schon oft erlebt, dass auf den möglichen politischen Hintergrund im Prozess nicht explizit eingegangen wird.“ Was die Anlaufstelle für Opfer rechter Gewalt derzeit auch beobachtet: Der Anteil rassistisch motivierter Angriffe steigt seit Jahren, das habe auch mit der Stimmung in der Gesellschaft zu tun.

Dies spürt auch Youssef manchmal in der Stadt: schiefe Blicke, Menschen, die vor ihm auf den Boden spucken. Warum er Burg nicht verlässt? „Ein Umzug ist teuer“, so der Syrer. Und für ihn als Geflüchteten mit bürokratischem Aufwand verbunden.

Was Youssef heute anders machen würde, wenn er wieder von Rechten angegriffen wird? Sich wehren. Das habe er damals bewusst nicht getan. Warum? „Ich hatte da keine Angst, aber ich wollte niemanden schlagen. Ich wollte nicht der Täter sein.“ Kurz nach dem Übergriff hatte Youssef Albträume. Die Gewalt, die er erfahren hat, ist Teil seines Lebens in Burg. Denn auch die Täter haben die Stadt nicht verlassen. Manchmal, wenn Youssef durch die Straßen spaziert, trifft er einen von ihnen. Was dann passiert? Nichts. Nur Blicke.