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Rituale Eine Reise in die Kindheit und alte Heimat

Auch das Jerichower Land erstrahlt zu Weihnachten im Lichterglanz. Schwibbögen, Lichterketten und Figuren sind überall zu sehen.

Von Thomas Skiba 27.12.2018, 11:00

Schartau l Jede Familie hat ihre eigenen Vorstellungen, Stuben und Flure für die schönste Zeit des Jahres zu dekorieren. Vielfach geben diverse Magazine oder Ratgeberliteratur Tipps, wobei sich Bewährtes mit neuen Trends die Waage hält. Wer schmückt, tut es meist so, wie er es in seinen Kindheitstagen erlebte. Nicht nur die Frage nach dem „Wie schmücke ich zu Weihnachten?“, sondern auch das „Wann fange ich an?“ finden meist ihren Ursprung in den Gepflogenheiten der eigenen Familie.

Die Eiligen holen schon Mitte November Kartons, Beutel und Kisten mit dem im letzten Jahr aufwendig verpackten Weihnachtszierrat hervor. Als Kostbarkeit gilt oft die über Generationen hinweg vererbte Weihnachtsbaumspitze aus hauchdünnem Glas. Andere aber erwerben noch am 24. vormittags, kurz vor Toresschluss, eine krumm gewachsene Kiefer, werfen etwas Lametta auf die Zweige und sind zufrieden.

Eine Region, die in einer besonderen Beziehung zu Weihnachten steht und mit ihren Weihnachtsdekorationen auch in das Jerichower Land strahlt, ist das Erzgebirge. Schwibbogen, Nussknacker, Räuchermann oder der Stollen – ein oder mehrere Formen erzgebirgischer Volkskunst zieren viele Simse und Fensterbänke. In so gut wie jedem Haushalt durchdringen Räuchermännchen mit ihrem Duft die Abende, und der Christstollen gehört als Leckerei auf die Teller am Advents-Kaffeetisch.

Warum gerade das Erzgebirge, warum so ein Reichtum an Figuren und Dekorationen gerade zur Weihnachtszeit? Über die vielfältigen Traditionen zur Weihnachtszeit und ihre Bestandteile weiß Inken Kurdum Bescheid. Ein waschechtes Erzgebirgskind sei sie, sagt die Schartauer Rentnerin: „Ich stamme aus Schneeberg und bin in den 1980ern der Liebe wegen nach Schartau gezogen.“

Wen es von dort in die weite Welt verschlägt, der nimmt Bräuche und Riten mit und lebt diese, auch fernab von Fichtelberg und Klingenthal. Da ist es für Inken Kurdum selbstverständlich, die erzgebirgische Volkskunst vorzustellen.

Warum wird das Erzgebirge als Weihnachtsland bezeichnet? „Was sind die Wurzeln für diese tiefe Liebe zum weihnachtlichen Brauchtum?“ Inken Kurdum lebt und liebt Weihnachten von ganzem Herzen. Und: Sie fährt jedes Jahr zur Weihnachtszeit in ihre alte Heimat - eine Reise in die Adventszeit ihrer Kindertage. Hier fühlt sie den Zauber immer wieder neu, der sie, seit sie denken kann, begleitet.

Nach Totensonntag fällt im Erzgebirge der Startschuss für die Vorweihnachtszeit, denn am auf den Totensonntag folgenden Montag beginnen die Erzgebirgler mit dem „Männelwecken“. Die Weihnachtsfiguren, wie Räuchermänner, Engel und Bergmann, Nußknacker, Schwibbögen, Pyramiden, Leuchterspinnen, Krippen, Puppenstuben und vieles andere, werden zum Leben erweckt. Gereinigt, repariert oder frisch bemalt zieren sie ab dem Sonnabend vor dem ersten Advent die Stube. Mit einer Ausnahme: die Schwibbögen müssen bis zum ersten Advent auf dem Dachboden bleiben.

Zusammen stehen Engel und Bergmann in den Fenstern. Die Bedeutung erklärt Inken Kurdum: „So viel Mädchen in der Familie leben, so viel Engel stehen im Fenster. Und die Bergmänner stehen für die Anzahl der Knaben.“ Noch heute ist es im Erzgebirge Tradition, den Töchtern zu Weihnachten Engel-Lichterfiguren zu schenken, während die Söhne Lichterfiguren in Form eines Bergmanns bekommen. Der Fensterschmuck leuchtet dann bis „Hochneujahr“, dem 6. Januar. Hochneujahr bezeichnet traditionell den 6. Januar, vor allem im thüringisch-sächsischen Kulturraum, überliefert durch Brauchtum und Volksglauben.

In Schneeberg selbst findet am ersten Weihnachtsfeiertag morgens um 4 Uhr das Turmsingen in der Sankt Wolfgangskirche statt, so die Wahl-Schartauerin. „Dort habe ich als Kind immer mitgesungen.“ Sie erwähnt auch, dass es Geschenke erst nach der Christmette gab.

Tiefe Frömmigkeit und die entbehrungsreiche, harte Arbeit im Bergwerk bedingten wohl einander. Gerade in der dunklen Jahreszeit sahen die Bergleute selten das Tageslicht und sehnten sich danach. Außerdem war Licht in den dunklen Stollen überlebenswichtig. So erhielt das künstliche Licht durch Kerzen oder Öllampen rund um Weihnachten und den Winter eine besondere Stellung. Ein Motiv, das künstlerisch verarbeitet, auch aus zahlreichen Fenstern im Jerichower Land leuchtet: der Schwib- oder Lichterbogen. Die Bergleute hängten nach ihrer letzten Schicht, der „Mettenschicht“ ihre Bergmannslichter in Form eines Schachteinganges an die Wand. Dieses Halbrund stand Pate für die bis heute beliebte Weihnachtsdekoration.

Zu den ursprünglichsten Motiven der Erzgebirgs-Volkskunst zählen aber die Lichterfiguren „Engel und Bergmann“. Beide Motive an sich, aber vor allem ihr Auftritt als Paar, sind tief im erzgebirgischen Brauchtum verankert.

Familien verbanden ihre tiefe Gläubigkeit mit ihrem ganz besonderen handwerklichen Geschick und erschufen Lichterfiguren, die als Kerzenhalter den ganz alltäglichen Zweck der Beleuchtung erfüllten und den Söhnen nach der Arbeit in den Bergwerksstollen den sicheren Weg nach Hause wiesen.

Die Lichterfiguren Engel und Bergmann sollten symbolisch Glück und Schutz bringen, damit sind sie die traditionellen Vorläufer der heutigen Adventsleuchter. Denn der Brauch, an jedem Adventssonntag ein weiteres Licht an einem Adventsleuchter zu entzünden, wurde erst nach dem Ersten Weltkrieg verbreitet. Die klassischen Adventsleuchter sind heute allerdings bekannter als das Leuchtfiguren-Paar Engel und Bergmann.

Mit einem aus Holz gefertigten Nussknacker aus dem Erzgebirge können keine wirklichen Nüsse geknackt werden, er ist vielmehr Spielzeug und Dekorationsobjekt. Die traditionelle Darstellung des Nussknackers aus dem Erzgebirge steht ursprünglich allgemein für die Vertreter der Obrigkeit, deren Gesetze und Regeln den damals durch den Wegfall der Einnahmen aus dem Bergbau arg gebeutelten Erzgebirglern sprichwörtlich manch harte Nuss zu knacken gaben.

Nussknacker aus dem Erzgebirge sollten in ihrer Darstellung Respekt einflößen, vor allem durch den oft grimmigen Gesichtsausdruck und die riesige Mundöffnung. Sie stellten meist Soldaten, Gendarmen und Könige dar, die besonders furchteinflößend wirkten.

Wilhelm Friedrich Füchtner aus Seiffen gilt als Erfinder der ersten erzgebirgischen Nussknacker. Mittlerweile dienen auch bekannte Personen als Vorlage für Nussknacker, zum Beispiel Martin Luther, Albert Einstein, der Alte Fritz, Kolumbus und sogar Politiker wie Helmut Kohl. Einige Manufakturen aus dem Erzgebirge haben sich auf diese modernen Motive spezialisiert, die in Sammlerkreisen heiß begehrt sind.

Neben den beschriebenen Figuren gehört auch der Stollen im Erzgebirge und für Inken Kurdum zum Fest. Der Stollen gehört zu den sogenannten „Gebildebroten“. Es sind Gebäcke, die bestimmte symbolische Formen oder Figuren darstellen. Der Stollen gilt seit vielen Jahrhunderten als das in weiße Tücher gewickelte Christkind. Urkundlich taucht der Stollen zum ersten Mal 1329 in Naumburg an der Saale auf.

Im Erzgebirge ist der Christstollen seit 1571 nachgewiesen.