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Hightech-Brille Tom Cruise beruhigt in Helios-Klinik

Patienten der Helios-Klinik Vogelsang können sich während ihrer Operation ablenken lassen. So lassen sich per Brille Hollywoodfilme ansehen.

Von Thomas Pusch 18.12.2019, 00:01

Vogelsang l Zugegeben, ein richtiger Selbstversuch ist es nicht, denn die Angst vor einer Operation fehlt ganz und gar, als ich am späten Nachmittag den OP-Trakt der Helios-Klinik Vogelsang betrete. Und diese Angst kenne ich sehr wohl, habe ich doch sowohl eine Operation mit Spinalanästhesie hinter mir als auch eine unter Vollnarkose.

Heute soll es um die korrekt Regionalanästhesie bezeichnete Form der Betäubung gehen. Und wie das Geschehen für den Patienten angenehmer gemacht werden kann.

„Wir wollen immer auf der sicheren Seite sein“, sagt Dr. Karsten Beyer. Der Chefarzt der Anästhesie ist eine beeindruckende Erscheinung, die mir auch im Ernstfall Vertrauen geben würde. Sichere Seite, das heißt für ihn, dass die Patienten möglichst schonend ruhiggestellt werden und sich während der Operation gut fühlen.

Ich fühle mich bereits gut, werde von den Schwestern Ute und Jeannette mit einer Wärmedecke zugedeckt, die mollige 38 Grad Celsuis hat. „Wir können auch auf 42 Grad hochdrehen“, kommt das Angebot.

Nein danke. Manche Patienten wollen aber gerne außer der Regionalbetäubung auch noch in den Schlaf versetzt werden, weil sie ein mulmiges Gefühl dabei haben, alles mitbekommen zu können.

Und eben das ist für den Chefarzt keine gute Lösung. Der Körper werde zusätzlich belastet, es werde häufig geschnarcht, was dazu führe, dass sich die Weichteile im Rachen verschieben, oft eine Röhre eingeführt werden müsse, um die Atmung zu stabilisieren.

Ich soll nun erfahren, wie die Ablenkung funktioniert. Beyer setzt mir zunächst einmal einen Kopfhörer auf, passt dann die Videobrille an, durch die ich das Bild einer grasfressenden Katze sehr. Die beiden Linsen werden scharfgestellt und dann geht es los. Nun erlebe ich sogar einen 3-D-Effekt und der Chefarzt beginnt mit Bildern aus der Natur. Sanftes Meeresrauschen macht sich in meinem Kopf breit. Im Hintergrund nehme ich das regelmäßige Piepsen meines Pulses wahr.

„Wir können noch mehr“, kündigt Beyer an und wechselt zu den Reisereportagen. Nach Irland könnte es gehen oder auch nach Kuba, aber nach einem kurzen Eindruck geht es in die nächste Kategorie: Filmklassiker.

Da stolpern unter anderem Charlie Chaplin und Buster Keaton über die Linsen der Videobrille. „Aber wir können noch mehr“ hält Beyer wiederum den Spannungbogen hoch und tatsächlich, in der nächsten Kategorie warten ein paar ältere Kassenknüller wie Mission Impossible oder Bridget Jones. Letztlich ist man ja auch nicht im Kino, sondern auf dem Operationstisch.

Das Einzige, was Karsten Beyer etwas fehlt, sind Sportfilme, das haben auch schon Patienten bedauert. „Wir haben hier natürlich auch sehr viele Sportler, die operiert werden, da passt das dann auch“, meint er. Dafür hat der Anästhesist auch schon einige Ideen im Kopf, etwa das Fußballspiel der Deutschen gegen Brasilien bei der WM 2014 oder auch das Endspiel gegen Argentinien – Möglichkeiten gibt es viele.

Wir unterbrechen unser Gespräch. Jetzt will er mir zeigen, wie sich der Film auswirkt, wenn man sich ganz darauf einlässt und sich nicht schon auf den Zeitungsartikel über das Erlebte konzentriert. Er stellt den Kanal mit den Polarlichtern aus Island ein. Herrliche Aufnahmen, beruhigende Musik. Fast nur unterbewusst bekomme ich mit, wie mein Pulsschlag langsamer wird. „Sie haben mit 62 angefangen, sind dann bei 55 gelandet“, präzisiert Beyer.

Die Videoauswahl ist schier unendlich, die Akkulaufzeit liegt bei vier Stunden. Das reicht locker für die Operationen in Vogelsang. Eine Gelenkspiegelung, Arthroskopie, dauert etwa 10 bis 45 Minuten, eine Hüftprothese liegt bei einer Stunde bis 80 Minuten, die des Knies bei eineinhalb Stunden. „Wenn ein Film abgelaufen ist, startet automatisch der nächste“, beruhigt Beyer.

Er ist ein großer Verfechter der regionalen Narkose, „weil nur betäubt wird, was betäubt werden muss, weil die eigene Atmung erhalten bleibt, weil der Kreislauf stabiler gehalten werden kann“. Auch ihm sind die Risiken einer Spinalanästhesie bewusst, über die die Patienten auch aufgeklärt werden. Lähmungserscheinungen und Inkontinenz gehören zu den schlimmsten. Doch sie bleiben verschwindend geringe Ausnahmen, was dem Betroffenen nicht hilft. Aber auch die Vollnarkose ist nicht risikofrei.

Laut dem österreichischen Hersteller von Happy-Med würden 90 Prozent der Patienten die Videobrille wieder verwenden. Ich auch. Aber nur ohne Ernstfall.