1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Burg
  6. >
  7. Krieg: Ukrainer in Burg bei Magdeburg sind keine Sozialtouristen

Krieg Ukrainer in Burg bei Magdeburg sind keine Sozialtouristen

Der Jobcenter-Geschäftsführer sieht kein systematisches Pendeln zwischen dem Jerichower Land und der Ukraine. Wie ist die Situation im Landkreis?

Von Thomas Pusch 05.03.2024, 21:48

Burg. - Vor zwei Jahren haben die ersten Flüchtlinge aus der Ukraine das Jerichower Land erreicht. Mittlerweile sind vielerorts den offenen Armen Skepsis und Argwohn gewichen, teilweise sogar Ablehnung. Im Raum steht immer öfter ein Vorwurf, der mit Sozialleistungen zu tun hat.

Dass sich die Stimmung geändert hat, bekommt auch Kristina Ashraf, Vorsitzende des Vereins „Ukrainer in Burg“ immer wieder zu spüren – anders als vor zwei Jahren. „Neulich sagte ein Mann beim Einkaufen zu mir, Putin habe Recht und ich solle wieder zurück gehen“, nennt sie ein Beispiel. Das ließ sie sprachlos zurück.

Bürokratie ist ein Problem

Doch vorwerfen, dass sie nur Sozialleistungen kassiert und nichts tut, kann man ihr ganz und gar nicht, im Gegenteil. Sie ist im Jobcenter als Dolmetscherin tätig, unterstützt auch, wenn es darum geht, ihren Landsleuten einen Arbeitsplatz zu verschaffen.

Natürlich gebe es auch unter den ukrainischen Flüchtlingen schwarze Schafe, gar keine Frage. Oftmals gebe es aber auch andere Gründe, warum sie nicht arbeiten gehen. Für manche Berufe müsse erst ein bestimmtes Sprachniveau erreicht werden, oftmals dauere es sehr lange, bis Abschlüsse oder Diploma anerkannt würden. Die Bürokratie stehe da oft im Wege.

Manche Deutsche würden vielleicht denken, sollen sie doch Toiletten putzen, egal, was sie vorher gemacht haben. Wenn sie an ihr Erlebnis beim Einkaufen denkt, huscht Traurigkeit über ihr Gesicht. „Viele verstehen uns nicht“, sagt sie leise, „wir haben mit der Flucht eine sehr schwierige Entscheidung getroffen, wir haben unser ganzes Leben zurückgelassen.“

Jobcenter-Chef bezieht Stellung

Doch bei den meisten reift die Überzeugung, dass es noch lange dauern kann, bis sie wieder in ihre Heimat zurückkehren können. Dass sie in dieser Zeit nicht nur Leistungsempfänger sein wollen. Insgesamt hat der Landkreis knapp 1200 Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen, etwa ein Viertel arbeitet, rund 400 erwerbsfähige Ukrainer sind beim Jobcenter gemeldet. Sie müssen auch im ortsnahen Bereich bleiben.

Der Behauptung, dass zahlreiche Ukrainer Leistungen in Deutschland beziehen und sich davon ein gutes Leben in der Westukraine leisten würden, tritt Markus Weidel, Geschäftsführer des Jobcenters, auf Nachfrage der Volksstimme entgegen. „Ein systematischer Leistungsmissbrauch ist dem Jobcenter Jerichower Land für den Personenkreis nicht bekannt. Das Jobcenter hat auch keine Informationen über einen ,Sozialtourismus’ nach Deutschland“, so Weidel.

Netzwerk Leben unterstützt

Zusammen mit dem Verein „Ukrainer in Burg“ hat das Jobcenter bereits mehrere Veranstaltungen angeboten, Weidel zeigte sich von der großen Resonanz beeindruckt. „Es ging beispielsweise darum, wie man sich integriert, was die Pflichten eines Leistungsempfängers sind“, zählte Kristina Ashraf auf. Der Arbeitgeberservice wurde vorgestellt, ebenso die Arbeitsvermittlung. „Zusammen mit dem TGZ gab es auch eine Veranstaltung zum Thema Selbstständigkeit und es ist noch mehr geplant“, fügte sie hinzu.

Als der Verein im vergangenen Jahr gegründet wurde, war die Stimmung noch anders. Am 24. Februar flatterte der Brief der Anerkennung vom Amtsgericht Stendal ins Haus. Am selben Tag fand abends das von den ukrainischen Flüchtlingen organisierte Benefizkonzert in der Stadthalle statt – ein Fest.

Verein hat viele Pläne

Und Kristina Ashraf weiß, dass die Flüchtlinge nicht allein dastehen. Neben den 20 ukrainischen Mitgliedern gibt es auch drei Deutsche. Einer von Ihnen ist Bernd Felscher, in den ersten Kriegstagen Helfer der ersten Stunde. Als Teil der Stiftung Netzwerk Leben hilft er schon seit rund 20 Jahre in Not geratenen Familien. „Und die Ukrainer gehören jetzt eben dazu“, lautet seine Überzeugung.

Kulturell wird sich der Verein auch weiterhin präsentieren, etwa bei den Tagen der Begegnung am Weinberg Anfang Juni. Und er organisiert auch Freizeitangebote für Kinder, etwa Tanzunterricht und Selbstverteidigungskurse. Fitness soll das Stresslevel auch bei Erwachsenen herunterbringen, demnächst ist auch an psychologische Unterstützung gedacht. „Wir haben noch viel vor“, zeigt sich Kristina Ashraf trotz der bedrückenden Situation kämpferisch.

Bedrückend natürlich auch wegen der Situation in der Heimat. Und so gehören die Unterstützung mit medizinischen und humanitären Hilfsgütern für Menschen in der Ukraine nach wie vor zu den wichtigsten Aufgaben. Bernd Felschers Handy klingelt. Ein neues Hilfsangebot. Das Bundeswehr-Dienstleistungszentrum will Kindersachen sammeln. Das sorgt für Lächeln in den Gesichtern.