1. Startseite
  2. >
  3. Lokal
  4. >
  5. Nachrichten Burg
  6. >
  7. Wohngebiet wochenlang ohne Straßenbeleuchtung

Mieter der Gerwischer Eisenbahnersiedlung sauer auf den Eigentümer / Elektriker muss aus Leipzig anreisen Wohngebiet wochenlang ohne Straßenbeleuchtung

Von Thomas Rauwald 08.12.2011, 05:23

In der so genannten Eisenbahnersiedlung in Gerwisch herrscht Frust. Viele Mieter fühlen sich von ihrem Vermieter vernachlässigt. Wochenlang ist die Straßenbeleuchtung dunkel. Die Servicenummer bleibt stumm. Die Ortsbürgermeisterin wird abgekanzelt.

Gerwisch l Einst war die Eisenbahnersiedlung von Gerwisch ein Schmuckstück. Zu Kaisers Zeiten wurde sich errichtet. Aus dem Danziger Gebiet ist die Meisterriege nach Gerwisch geholt worden, um für die Bahn zu arbeiten. Die Einwohnerzahl schnellte in die Höhe. In der Siedlung lebte man autark: eigene Geschäfte, eigene Kneipe, eigene Badeanstalt, Turnhalle, zwei Klassenräume, eigener Bäcker, eigener Fleischer, Schuster, eigener Verwalter, eigene Wasser- und Energieanlagen. Das Gebiet war umzäunt mit Wachen an den drei Zufahrten.

So herausgeputzt ist das Areal längst nicht mehr. Ein Großteil der Fläche, rund 15 Hektar, hat vor rund zehn Jahren die Deutsche Annington, eine Immobilien GmbH mit Hauptsitz in Bochum, von der Bahn gekauft. Damit sind die meisten Wohnungen in der Eisenbahnersiedlung im Besitz der Deutschen Annington, die auf ihrer Internetseite und ihren Briefen mit dem Slogan wirbt "Schön, hier zu wohnen."

Den Gerwischer Mietern muss der Spruch wie Hohn vorkommen. Zu viel Frust hat sich in den Jahren angestaut. Übrigens: Niemand möchte seinen Namen preisgeben. Man befürchtet Repressalien.

Die dunklen Straßen in der Nacht, die löchrigen Wege, das aufgebrochene Pflaster, der fehlende Winterdienst. Im Vorjahr waren die meisten Straßen wegen Glätte und Eisbuckeln unpassierbar. Die Post warf das Handtuch, berichten Bewohner.

Die zugewachsenen Kanaldeckel sind im Notfall schwer zu finden. Die wuchernden Sträucher und Bäume befördern die Brandgefahr, die von hölzernen Baracken, Schuppen und Garagen ausgeht, von denen niemand weiß, was in ihnen gelagert ist. Im Vorjahr brannte dort ein Schuppen mit gefährlichen Gütern. Ein dicker Ast musste abgesägt werden, um der Drehleiter Zugang zu ermöglichen. Den Kameraden der Feuerwehr graut vor Brandgefahr in diesem Gebiet. Es ist noch gar nicht so lange her, da mussten sie zur Siedlung ausrücken, um eine Erdabsenkung aufzufüllen. Mehrere Kanal- und Leitungssysteme scheinen übereinander zu liegen. Eine genaue Übersicht hat keiner.

Ein Sturmschaden an einem Dach bleibt schon über ein Jahr unbeachtet.

Anrufe unter einer Service-Telefonnummer sind verlorene Zeit. Am anderen Ende agiert die Ignoranz.

Als Beispiel, wie die Deutsche Anningten mit den Sorgen und Nöten der Bewohner umgeht, sei die Ursache der permanenten Ausfälle der Straßenbeleuchtung beschrieben, wie Mieter bezeugen. Bis vor einigen Jahren kümmerte sich darum ein örtlicher Elektrikermeister. Die freihängenden Stromkabel schlagen bei Wind aneinander. Die Sicherungen fliegen raus. Der Mann war vor Ort, drückte sie wieder rein. Stundensache. Die Annington wollte den Vertrag nicht mehr verlängern. Ein eigener Mann aus Leipzig sollte übernehmen. Bürgermeisterin Karla Michalski warb für die zügige Reparaturvariante vor Ort. Was ihr den Vorwurf einbrachte, das örtliche Handwerkerunternehmen übervorteilen zu wollen. Die alternative Idee, einen Handwerker aus Biederitz, Lostau oder Körbelitz zu beauftragen, lief ins Leere. So dauert es heute meistens wochenlang, bis sich der Leipziger zum Sicherungsdrücken nach Gerwisch auf den Weg macht.

Mieter schildern weitere Beispiele. Die GmbH wollte eine Wohnung vermieten, die zwar eine aufgebrochene Türe, dafür aber kein Trinkwasser hatte. Eine andere hatte keine Heizung. Mit Mietreduzierung sollte dieser erhebliche Mangel "gutgemacht" werden, erzählen noch heute vor den Kopf gestoßene Bürger.

Mit wie viel Herz und Verstand sich um die Mieterbelange gekümmert wird, zeigt die Anlage einer schiefen Ebene an einer Außentreppe. Eine sehr betagte Dame soll dort den Rollstuhl ihres Mannes bewältigen.

Als sich die Volksstimme mit einer Anfrage an das Unternehmen wandte, kam umgehend die Nachfrage zurück, ob man konkrete Adressen nennen könnte. Ansonsten fiel die Reaktion des Unternehmens abwiegelnd aus: "Uns liegen zurzeit keine Beschwerden unserer Mieter zu den genannten Punkten vor. Lediglich eine defekte Straßenbeleuchtung wurde uns zu Beginn der Woche gemeldet, die Reparatur ist sofort beauftragt und bereits durchgeführt worden. Selbstverständlich kümmern wir uns um die Belange unserer Mieter, wenn uns konkrete Anliegen vorgetragen werden."

Noch heute geschockt ist eine andere Mieterin. Sie wohnt, wie trotz der unsäglichen Umstände die meisten Siedlungsbewohner, gern in diesem ruhigen und geschützten Areal und fragte bei der Annington an, ob sie ihr Haus kaufen könne. Auf keinen Fall, lautete die Antwort. Aber die ganze Siedlung, für 3,5 Millionen.

Auf einer der seltenen Ortsbegehungen im Vormonat ist Ortsbürgermeisterin Karla Michalski von den Eigentümern aus der Siedlung verwiesen worden. Sie habe auf diesem sich in Privatbesitz befindenden Gebiet keine Hoheit. Und dennoch stehen die Mieter vor ihrer Tür, sagt sie, weil es Gerwischer Bürger sind, die ein Problem haben, um das sich Annington nicht kümmert.