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Ruhestand Frau Doktor geht mit gutem Gefühl

Die Gardeleger Hausärztin Gabriele Genseke geht in den Ruhestand - und freut sich darauf. Denn ihre Praxis wird weitergehführt.

Von Gesine Biermann 30.12.2015, 02:00

Gardelegen l Es wird gerade renoviert – unübersehbar. „Genau so sah es vor 25 Jahren hier auch aus“, sagt Gabriele Genseke lachend, während sie sich zwischen den Malern hindurch in den Behandlungsraum 1 schlängelt. Auch hier ist schon vieles verpackt. Dabei hat sie hier gestern noch ihre letzten Patienten behandelt. Viele haben sich persönlich von ihr verabschiedet. „Ich war vollkommen überwältigt, wie viele Blumen und Geschenke ich bekommen habe“, sagt sie ehrlich erstaunt. Mancher hat sich richtig was einfallen lassen. Ein Ehepaar hat sogar eine Torte gebracht. „Zum Rentenbeginn alles Gute“, steht mit Zuckergussschrift darauf, und darüber ist ein Bild von ihr – aus Marzipan. „Das Foto haben sie sich extra bei meinen Eltern besorgt“, sagt Gabriele Genseke staunend.

Die nämlich leben auch in Gardelegen, sind der Tochter und dem Schwiegersohn aus der Börde hinterhergezogen. Dort, in der Nähe von Schönebeck, ist Gabriele Genseke groß geworden, hat schon auf der Oberschule Ehemann Rainer kennengelernt, hat schließlich in Halle studiert und wurde dann im Schönebecker Krankenhaus-Poliklinik-Gebilde Fachärztin für Allgemeinmedizin. In der Börde werden auch ihre drei Kinder geboren. Dann aber übernimmt Ehemann Dr. Rainer Genseke 1987 die Kinderklinik in Gardelegen, und sie zieht mit – schließlich ist man zu DDR-Zeiten nicht mal eben fix zwischen Gardelegen und Schönebeck unterwegs.

Leicht fällt ihr der Wechsel allerdings nicht. „Mein ehemaliger Chef in Schönebeck hat beim Abschied gesagt: Wir nehmen Sie auch gebraucht zurück!“ Doch dazu kommt es nicht – zum Glück für die Gardeleger. Denn nach einem kurzen beruflichen Start als Gardeleger Poliklinikärztin kommt 1989 die Wende und damit das Aus für DDR-Polikliniken. Genseke beschließt, sich in den einstigen Klinikräumen selbstständig zu machen. „Wir wussten ja damals alle nicht, wie das geht“, sagt sie rückblickend. „Auf einmal war ich Unternehmerin, Arbeitgeberin, Hausfrau, Ehefrau und Mutter“, der Jüngste ist noch ganz klein. Zudem muss sie für den Praxis-Umbau einen Kredit aufnehmen. „Wir dachten, wir stürzen uns in den Ruin“, erinnert sich Genseke augenzwinkernd.

Doch das passiert natürlich nicht. Dafür aber wartet viel Arbeit auf sie. Bis zu 2000 Patienten betreut Frau Doktor zeitweise. Zum Schluss sind es rund 900. Eine große Verantwortung. Ihr Motto ist allerdings immer: „Ein Hausarzt kann nicht alles wissen“, die Patienten müssten aber darauf vertrauen können, dass sie in solchem Fall zu Spezialisten überwiesen werden. Und das können ihre Patienten. Zudem nimmt sie sich Zeit – manchmal auch für ganz private Probleme. Manches lässt sich eben nicht trennen. Doch eine 70- bis 80-Stunden-Woche wird so fast zur Normalität. Nicht zuletzt deshalb freut sie sich sehr auf den Ruhestand.

„Alles hat seine Zeit“, sagt sie. Jetzt freut sie sich aufs Singen (vielleicht im Chor), auf Sport, vielleicht auf einen Englischkurs, auf die Arbeit zu Haus – „das ist ja oft zu kurz gekommen“ – und auf viel Zeit im bördeländischen Randau. Dort nämlich steht die „Familienferienscheune“. Ein Treffpunkt auch für Stephan, Constanze und Philipp, der als Jüngster und einziger auch Mediziner wurde – allerdings Nuklearmediziner.

Was sie am 1. Januar, ihrem offiziell ersten freien Tag macht, weiß sie übrigens auch schon: Nämlich „einen langen Spaziergang.“ Und das mit gutem Gefühl. Denn es wird weitergehen. Mit Dr. Monique und Dr. Raik Mühe übernimmt ein junges Ärztepaar ihre sechs Mitarbeiterinnen und natürlich ihre Patienten. Für Genseke war das vor etwa einem Jahr die beste Nachricht, die sie sich vorstellen konnte: „Es ist so was von toll, dass ich die Patienten in fachlich kompetente Hände geben kann“, versichert sie. Denn irgendwie ist es eben doch ein besonderes Verhältnis, das Patienten zu ihrem Hausarzt entwickeln. Vor allem, zu so mitfühlenden, menschlichen, wie Gabriele Genseke es immer war. Und auch ihr sind die Patienten ans Herz gewachsen: „Und manche sind sogar mit mir alt geworden“, sagt sie nachdenklich. Aber da übertreibt sie dann doch ein bisschen.