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Abwassertechnik Rein in die Brühe: Taucher im Klärwerk

Drei Experten einer Potsdamer Firma tauchen derzeit täglich mehrmals im Miester Klärwerk ins große Abwasserbecken.

Von Gesine Biermann 02.11.2016, 11:36

Mieste Ihren Job möchten wohl die Wenigsten machen – aber sie machen ihn mit Leidenschaft: Die Experten einer Potsdamer Firma tauchen derzeit täglich mehrmals im Miester Klärwerk ins große Abwasserbecken, um dort im laufenden Betrieb neue Technik zu installieren.

 

Still ruht das Belebungsbecken im Miester Klärwerk. Fast glatt liegt der Abwasserspiegel. Doch dann steigen an einer Stelle plötzlich Bläschen an die Oberfläche. Es blubbert gewaltig, und dann taucht ganz langsam ein zitronengelber Helm aus dem trüben Nass. Ihm folgt ein Mann mit jeder Menge Technik am Körper. Und mit einer Werkzeugtasche voll Wasser, das er – an Land gegangen – erstmal auskippen muss. Dabei macht er Geräusche, die einen unwillkürlich an den Dunklen Lord aus Krieg der Sterne erinnert. Jeder Atemzug hört sich an wie Interferenzen im Radio. Nur langsam kann er sich vorwärtsbewegen. Ein Zwinkern hinter dem Visier ist noch zu sehen und ein Schulterzucken, das wohl heißen soll: „Leider kann ich Sie nicht hören". Und dann, nach einer Viertelrunde ums Becken, klettert er schon wieder hinein in die trübe Brühe. Wieder sieht man nur noch Blasen. Und dann gar nichts mehr. Überhaupt nicht mehr zu erkennen, dass da eben gerade ein Mensch verschwunden ist. Ganz unschuldig liegt das Klärbecken da. Schon sehr beeindruckend das Ganze.

Was Bernd Reißland erzählt, der gleich neben dem Becken im Funkwagen der Potsdamer Gefaba GmbH sitzt, ist dann aber noch viel beeindruckender. Denn der weiß genau, wie es dort unter Wasser aussieht, dort, wo der Taucher gerade steckt, nämlich schwarz. „Also wie in einer Höhle, wenn Sie das Licht ausmachen", sagt er grinsend.  Ja, aber warum hat denn der Typ da unten keine Lampe? Bernd Reißland grinst noch mehr: „Weil man da ohnehin nur Schwebeteilchen sehen könnte. Licht würde gar nichts nützen." Der Kollege, der übrigens Bernd Reißlands Sohn Tim ist, kann unter Wasser also tatsächlich nur fühlen, was er macht? „Tasten ist unser Sehen", bestätigt Reißland.
Aber offensichtlich beherrscht Tim Reißland das  ganz gut. Denn just in diesem Moment schiebt sich ein großes Blech nach oben an den Rand, das Klärwerkmitarbeiter Reiner Zacharias sofort entgegennimmt. Insgesamt 15 dieser Leitbleche sind im Becken. Sie alle müssen raus, erklärt Bernd Reißland. Und wenn er nicht sofort fühlt, wo es angeschraubt ist? „Dann läuft er dagegen", sagt er augenzwinkernd.

„Mach langsam", sagt er dann in ein Mikrophon – und zur Erklärung: „Diejenigen, die reingehen, haben immer per Funk Kontakt zu uns." Falls der abreißen würde, wäre sofort ein Kollege zur Stelle, der hinterhertaucht. Direkt neben dem Funkwagen liegt deshalb auch eine weitere Taucherausrüstung griffbereit. Ein dritter Kollege bleibt schließlich immer am Beckenrand in direkter Nähe. Auch er könnte im Notfall tauchen.
Und der kann zudem noch ganz andere Dinge. Dr. Ronald Wagner, der da gerade in Arbeitsklamotten und schwarzer Wollmütze um das Miester Klärwerkbecken läuft und aufpasst, dass sich die Verbindungsschnur zu seinem Kollegen Tim im Becken nicht verheddert, ist nämlich studierter Chemiker und Experte in anorganer Chemie.

Gut, wenn man einen wie ihn im Team habe, vor allem wenn es um extrem kontaminierte Gewässer geht, erklärt Bernd Reißland. „Dann kann er gleich vor Ort ein Gewässergutachten machen." Denn die Aquaworker aus Potsdam steigen zuweilen noch in ganz andere Flüssigkeiten, als nur in Abwasser wie im Miester Klärwerk. Auch wenn das eigentlich für die meisten schon unangenehm genug wäre. Neben Bakterien könnten Abwässer nämlich auch pharmazeutische Rückstände oder Hormone enthalten. Kontakte mit der Haut oder offenen Wunden könnten deshalb fatale Folgen haben. Deshalb sei auch jeder Taucher extrem gut geschützt, versichert Bernd Reißland. Kein Tropfen des Abwassers könne durch den Schutzanzug oder Helm dringen.

Zudem herrscht im  Spezialanzug ein leichter Überdruck. „Selbst wenn man sich ein Loch hineinreißen würde, kämen Luftblasen raus und kein Wasser rein", erklärt Reißland.
Bei allem Know-how und der modernsten Technik – das größte Kapital der Aquaworker ist dennoch ihre Erfahrung und natürlich ihr Fachwissen. Auch Tim Reißland, der gerade wieder aus dem großen Klärbecken an die Oberfläche kommt, hat ein abgeschlossenes Studium hinter sich. Er ist Maschinenbauingenieur. Hier steigen tatsächlich Akademiker in die nasskalte Brühe. Wer hier denkt, solch einen Job könne jeder machen, irrt offensichtlich.

Aber das zeigt auch schon das Auftragsvolumen. Rund 136 000 Euro lässt sich der Gardeleger Wasserverband die Umbaumaßnahme nämlich kosten. Inklusive des Spezial-
tauchereinsatzes. Und das setzt natürlich voraus, dass das Unterwasserteam genau weiß, worauf es ankommt. Immerhin ist ihre Arbeit nicht zum Schnäppchenpreis zu haben.
Frank Hellmann, technischer Leiter im Gardeleger Wasserverband, ist indes sehr zufrieden mit dem Team. „Wenn alles klappt, werden wir am Donnerstag die neue Technik in Betrieb nehmen", schätzt er ein. Dann werden neu entwickelte Plattenbelüfter (statt Rohrbelüfter) in Verbindung mit Rührwerken für die  Umwälzung des Beckeninhalts sorgen.

Bis dahin muss allerdings sporadisch immer wieder belüftet und umgerührt werden, sonst setzt sich der Schlamm auf dem Boden fest. Und so hat Spezialtaucher Tim Reißland auch mal Pause. Endlich kommt auch sein Gesicht unter dem schweren Helm zum Vorschein. Ein sehr fröhliches übrigens.
Und er hat sogar ein Kompliment für die Miester: „Also ich muss sagen, die Sicht im Abwasser ist hier gar nicht so schlecht", sagt Tim Reißland gut gelaunt. „Eins, zwei Meter tief sieht man sogar noch einen Lichtschimmer!"
Sie machen also nicht nur einen guten Job, diese Aquaworker, sie haben offensichtlich auch noch Spaß dabei.

Wer hätte das gedacht.