Künstler stellte seine Autobiografie vor - und zunehmende Ressentiments gegen Fremdes fest Andrej Hermlin ist sicher: "Ich lebe hier mit geborgter Zeit"
Er ist nicht nur "der Sohn von..." - Andrej Hermlin, dessen Vater Stephan zu den bekanntesten Schriftstellern der DDR zählte, ist selbst ein herausragender Künstler. Und als solcher präsentierte er sich am Freitagabend in der Gardeleger Bibliothek.
Gardelegen. "Ich lebe hier mit geborgter Zeit", sagt Andrej Hermlin, Sohn eines Deutschen jüdischen Glaubens und einer Russin und zudem Ehemann einer Kenianerin. Nicht erst, seit ein gewisser Thilo Sarrazin Bedenken bezüglich der Qualität und Quantität des deutschen Humankapitals geäußert hat, nimmt der Künstler Ressentiments gegen Fremdes wahr. Offen spricht er am Freitagabend über seine Gefühle, die er für das Land hegt, in dem er geboren wurde, aber das er nicht Heimat nennt.
Hermlin ist im Zuge des Altmärkischen Musikfestes nach Gardelegen gekommen. In der Bibliothek stellt der 46-Jährige Auszüge seiner Autobiografie "My Way - ein Leben zwischen den Welten" vor. Doch der Berliner ist künstlerisch nicht in die Fußstapfen seines Vaters, des Schriftstellers Stephan Hermlin, getreten, sondern ein begnadeter Swing- und Jazzmusiker, der schon im Alter von 4 Jahren gern die Musik von Benny Goodman hörte und der mit Anfang 20 sein erstes Orchester gründete.
Auch in Gardelegen, wohin er seine Musikerkollegen Michael Wirt und Frank Bach mitgebracht hat, scheint es, Hermlin sei aus der Zeit gefallen. Und das nicht nur, weil er wegen eines Staus eine Viertelstunde zu spät kommt. Das Haar wird von Pomade gehalten, der graue Flanellanzug mit der Schlaghose ist maßgeschneidert. Der Mann sieht aus, als sei er gerade einem Film über die 30er Jahre entstiegen.
Doch Hermlin steht im Hier und Jetzt. Und er ist ganz bei sich. Das zeigt sich auch, als er von Jörn Projahn gefragt wird, warum er, der doch offenbar großer Humanist sei, nach der Wende der PDS beigetreten sei und weiter deren Thesen vertrete. "In meinem Herzen bin ich Linker", sagt der Künstler, und gibt zu: "Ich habe in der DDR ein seltsames Leben geführt." Immerhin durfte er bereits als Kind frei reisen. "Das Privileg war unverdient", sagt er. Und doch habe es ihm von draußen einen veränderten Blick auf das ermöglicht, was er in jenem Staat erlebt habe, für dessen Grundidee er nach wie vor sei. "Sozialismus ist eigentlich etwas Gutes. Aber demokratisch muss er sein." Heute gäbe es Demokratie, erzählt Hermlin. Doch frage er sich: "Wären die Menschen bereit, für das politische System zu kämpfen?" Die Antwort liefert er selbst, indem er, angelehnt an den Film "Nirgendwo in Afrika", sagt: "Ich habe bereits ein kleines Haus in Kenia."