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Historisches Braunkohleabbau im Gardelegener Ortsteil Lindstedt in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts

„Schreibt doch mal etwas über den Kohleabbau in Lindstedt.“ Dieser Anruf eines Miesterhorsters in der Volksstimme-Redaktion machte neugierig. Davon hatte noch niemand etwas gehört. Eine Nachfrage bei Ortsbürgermeister Siegfried Jordan ergab: Ja, bei Lindstedt wurde Kohle gefördert, wie in der Chronik nachzulesen ist.

Von Elke Weisbach 30.10.2021, 15:30
Der Kohlenschacht damals (kleines Foto) und heute – ein Teich, umsäumt von Bäumen. Nichts erinnert mehr an das, was hier einmal war.
Der Kohlenschacht damals (kleines Foto) und heute – ein Teich, umsäumt von Bäumen. Nichts erinnert mehr an das, was hier einmal war. Fotos: Siegfried Jordan

Lindstedt - Generationen von Kindern der ortsansässigen Kita oder die Schüler der ehemaligen Schule in Lindstedt kennen den Kohlenschacht, berichtet Ortsbürgermeister Siegfried Jordan. Aber nicht als das, was er einmal war, sondern so, wie er sich heute darstellt. Nämlich als beschaulicher See, umrahmt von Bäumen und Sträuchern, an dem man herrlich spielen oder mit dem Fahrrad über die alten Abraumhalden krossen kann. So mancher Ausflug wurde dorthin unternommen, um mit den Mädchen und Jungen Wissensspiele zu machen und anschließend zu grillen.

Neben dem See, der sich auf halbem Weg zwischen Kassieck und Lindstedt , verborgen hinter einem Birkenhain, befindet, erinnern laut Jordan heute nur noch die Reste der alten Seilbahn an den Kohleabbau. Mit dieser Bahn wurde die im Tagebau geförderte Braunkohle, um die es sich handelte, zur Brikettfabrik transportiert. Auch dieses Gebäude gibt es noch. Nach dem Ende des Kohleabbaus wurde dieser Zweckbau viele Jahre noch als Stall genutzt. Mittlerweile verfällt das Gebäude langsam.

1909 begann der Abbau

Die Geschichte des Kohleabbaus bei Lindstedt war über Jahrzehnte ein Auf und Ab. Im Jahr 1903 hatte man die Kohlevorkommen entdeckt, ist in der Chronik nachzulesen. Über das Wie und Warum dort überhaupt gesucht wurde oder ob es ein Zufallsfund war, steht nichts drin. 1909 aber begann eine Bergbaugesellschaft mit dem Abbau. Zuvor „suchte man Teile der Bevölkerung für dieses wenig sinnvolle Unternehmen zu gewinnen. Oft lockte man den Leuten die letzten Ersparnisse für den Kauf von Aktien für dieses Unternehmen ab“, heißt es in der Chronik. Mit Baggern und einer großen Zahl von Arbeitskräften, die in den umliegenden Dörfern angeworben wurden, räumte man die Deckschicht weg, um die Braunkohlenscholle freizulegen. „7 bis 9 Meter hoch türmte sich die Abraumecke westlich des Arbeitsstelle auf.“ Unten befand sich die Muttererde, obenauf die Sand- und Kiesteile.

„Damit ging für die Vegetation ein doppelt so großes Gebiet verloren; einmal durch die Freilegung des Tagebaus, zum anderen durch die Anhäufung als Halde“, wurde kritisch in der Chronik festgehalten. Da man auch eine gewissenhafte, wissenschaftliche Arbeit völlig außer acht ließ, wurde erst nach dem Aufstellen des „nicht unbeachtlichen Unternehmens“ festgestellt, „dass die Kohle völlig ungeeignet für die Wirtschaft war“. Und so wurde genauso schnell, wie mit dem Abbau begonnen wurde, die Einstellung desselben betrieben. „Die ganze Angelegenheit hatte sich als eine Fehlspekulation erwiesen. Die Hoffnung, gewaltige Gewinne abzuschöpfen, hatte sich als irrig gezeigt.“

Kurz nach dem Ende des Ersten Weltkrieges und der damals angespannten Lage mit Rohstoffen wurde wieder mit dem Kohleabbau begonnen und ein „weiteres spekulatives Unternehmen“, wie es in der Chronik heißt, aus dem Boden gestampft. Dafür ließ der Besitzer des Lindstedter Rittergutes „500 bis 600 Meter in Ost-Nordost-Richtung vom Tagebau“ eine Brikettfabrik errichten, „die mittels einer Drahtseilbahn vom Tagebau her mit Rohkohle beliefert wurde“. Für die schnelle Beförderung der nun gepressten Kohle wurden zudem ein Gleisanschluss an die Kleinbahn Klötze-Vinzelberg geschaffen und der Weg zur Landstraße gepflastert. Das änderte aber nichts an der Tatsache, dass auch durch die Veredelung in der Brikettfabrik keine brauchbare Kohle geschaffen wurde. Der Gehalt an Ton und Sand in der Braunkohle war zu hoch. 1922 wurde nach vielen Versuchen und nach Hinzuziehung von Fachleuten der Betrieb eingestellt.

20 Jahre lang Pause

20 Jahre war es dann ruhig am Standort, bis „im Jahre 1943 die Kriegsereignisse wiederum auf dieses Fleckchen Erde aufmerksam machten. Die mangelnden Rohstoffquellen erforderten eine Ausnutzung jeder Reserve.“ Die Kohle sollte zur Gewinnung von flüssigem Treibstoff dienen. „Sowjetische Kriegsgefangene mussten bei schlechten Arbeitsbedingungen das schwere Werk vollbringen.“ Ein Jahr wurde gefördert. Dann wurde der Abbau wieder aufgegeben. Der Tagebau füllte sich mit Wasser.

Nach dem Zweiten Weltkrieg, im Jahr 1947, „entsann man sich der Kleinods erneut“. Das Gelände des ehemaligen Braunkohlentagebaus wurde zu einem „wirtschaftlichen Schwerpunkt“ im Kreis – dieses Mal finanziert vom Staat. Mit einfachen Pumpanlagen wurde die Tagebaugrube „Minna“, wie sie jetzt genannt wurde, entwässert, was den Wasserstand ringsum wieder erhöhte und laut Chronik die Gefahr der Versauerung der Wiesen mit sich brachte. Doch darum scherte sich zur damaligen Zeit niemand. Der Abbau wurde fortgesetzt. Arbeitskräfte gab es nach Kriegsende genug, „hatte doch die Umsiedlung die umliegenden Orte überbevölkert“. Es waren vor allem die „Neubürger“, die im Tagebau für einige Zeit Arbeit für Lohn und Brot fanden.

Minderwertige Qualität

„Eine schnell herbeigeschaffte Brikettpresse formte die Kohle zu wurstähnlichen Brikettgebilden, die anfangs guten Absatz fanden, war es doch die einzige Kohle, die weit und breit aufzutreiben war.“ Brennmaterial war Mangelware. Doch die Qualität der Braunkohle ließ immer noch zu wünschen übrig.

Das war auch der Grund, warum die Grube „Minna“ nach ein paar Jahren endgültig geschlossen wurde, als die Wirtschaft sich von den Folgen des Krieges erholt hatte. Ein genaues Jahr ist in der Chronik aber nicht angegeben.

Vielmehr erinnert sie daran, „dass sich die Arbeiter körperlich abgemüht hatten und ihr Scherflein beitrugen, unserem Volk einem höheren Lebensstandard entgegen zu führen“. Sie hätten sogar zweimal „unter größter Mühe und Gefahr“ versucht, in tiefer gelegene Kohleflöze zu gelangen. Einen Schacht hatten sie bis zu 21 Meter in die Tiefe getrieben, doch die primitiven Pumpen schafften es nicht, ihn wasserfrei zu halten. Einen anderen Stollen trieben sie zwölf Meter in die Tiefe. Doch lockere Sandmassen setzten dem ein Ende. Es drohte die Gefahr eines Einsturzes. Der Stollen wurde wieder eingerissen.

Dann endlich wurde das Fleckchen Erde in Ruhe gelassen und konnte sich zu dem idyllischen Kleinod entwickeln, das es heute noch ist.

Die Überreste der einstigen Drahtseilbahn, mit der die abgebaute Braunkohle zur Brikettfabrik transportiert wurde.
Die Überreste der einstigen Drahtseilbahn, mit der die abgebaute Braunkohle zur Brikettfabrik transportiert wurde.
Foto: Siegfried Jordan
Die ehemalige Brikettfabrik heute. Sie wurde viele Jahre  als Stall genutzt, nun verfällt sie langsam.
Die ehemalige Brikettfabrik heute. Sie wurde viele Jahre als Stall genutzt, nun verfällt sie langsam.
Foto: Siegfried Jordan
Alte Aufnahmen vom Braunkohlen-Abbaugebiet bei Lindstedt.
Alte Aufnahmen vom Braunkohlen-Abbaugebiet bei Lindstedt.
Repro: Siegfried Jordan