Polizist aus Gardelegen vor Gericht Chaos-Fahrer von Hemstedt bei Festnahme schwer verletzt: Dieses Urteil ist jetzt gefallen
Weil er einen Mann, der zuvor Autos gerammt und Menschen in Angst und Schrecken versetzt hatte, mit einem Schuss schwer verletzt hatte, stand ein Polizist aus Gardelegen vor Gericht. Zu dieser Strafe wurde er verurteilt

Gardelegen/Hemstedt. - Den 21. Oktober 2020 werden viele Betroffene wohl nie vergessen. Ein damals 43-Jähriger hatte auf der Fahrt durch die Einheitsgemeinde Gardelegen in mehreren Orten Autos gerammt, mit einer Metallkette auf einen Wagen eingeschlagen und Familien, Frauen, Kinder in Angst und Schrecken versetzt.
Am 10. April 2025 nun saß einer jener Polizisten auf der Anklagebank, die den Mann damals auf einem Acker nahe Hemstedt gestoppt hatten, denn bei der Festnahme hatte sich ein Schuss aus der Dienstwaffe gelöst und den 43-Jährigen getroffen.
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Wegen Körperverletzung im Amt musste sich der erfahrene Beamte vor dem Amtsgericht Gardelegen verantworten. Als Nebenkläger trat der damalige Chaosfahrer auf. Dessen Anwalt zweifelte gleich zu Beginn die Zuständigkeit des Gardelegener Gerichtes an.
Seiner Auffassung nach handele es sich nicht um ein Delikt der Körperverletzung, sondern mindestens der versuchten Tötung. Es sei sich kaum um Aufklärung bemüht worden, und der Schuss könne nicht so gefallen sein, wie der angeklagte Polizist behaupte – nämlich versehentlich beim Einschlagen des Fensters der Beifahrertür. Seiner Ansicht nach werde hier ein Polizeibeamter „anders behandelt als jeder Normalbürger.“
Chaos-Fahrer von Hemstedt landete auf der Flucht auf dem Acker
Trotz dieses Protestes wurde die Verhandlung mit der Anklageverlesung begonnen. Demnach hatte der angeklagte Hundeführer während der Dienstzeit über Funk von der Irrfahrt erfahren, den Flüchtigen kurz vor Hemstedt festgestellt und dessen Auto zweimal gerammt.
Der Mann flüchtete mit seinem BMW aber weiter. Als ihm aus Trüstedt ein Funkwagen entgegenkam, wich er auf einen Acker aus, wo er sich schließlich festfuhr. Die zwei jungen Polizeibeamten im Funkwagen stellten diesen quer vor den BMW, der Hundeführer sein zivil aussehendes Fahrzeug daneben. Lautstark versuchten die Beamten dann mit gezogenen Waffen den Chaosfahrer zum Aussteigen zu bewegen.
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Der nun Angeklagte habe, um eine erneute Flucht zu verhindern, auf den rechten Hinterreifen des Tatfahrzeuges geschossen, dabei nur die Felge getroffen, und mit einem weiteren Schuss den Reifen so zerstört, dass das Auto nicht mehr fahrtüchtig war.
Polizist soll Gefahr einer unbeabsichtigten Schussabgabe nicht beachtet haben
Mit der schussbereiten Waffe habe er dann mehrfach gegen die Beifahrerscheibe des BMW geschlagen, die auch zerbrach. Dabei habe er nicht die Gefahr einer unbeabsichtigten Schussabgabe beachtet, so die Staatsanwältin.
Es löste sich ein Schuss, der den Gestoppten unterhalb der rechten Achsel traf und den rechten Lungenflügel, die Speiseröhre, die obere Hohlvene und den Magen verletzte. Erst kurz vor der Bauchspeicheldrüse blieb die Kugel stecken. Die lebensbedrohlichen Verletzungen wären ohne chirurgische Behandlung tödlich gewesen.
Als erster Zeuge trat der damals Angeschossene auf, der nach eigenen Angaben noch heute unter den Folgen leidet. Seine eigene, einjährige Bewährungsstrafe wegen der angefahrenen Autos sei mittlerweile abgelaufen, berichtete er.
Damals habe er aus der Situation fliehen wollen. Den grauen Wagen des Hundeführers habe er für ein Bauern-, oder Forstfahrzeug gehalten. Was genau die Beamten riefen, als sie mit den Waffen vor seinem Auto standen, habe er nicht verstanden. Er erinnere sich aber an eine blonde Frau an der Fahrertür, einen weiteren Beamten vorn am Auto und den vermeintlichen Zivilisten an der Beifahrerseite.
Amok-Fahrer von Hemstedt hatte Crystal Meth konsumiert
Er habe die Autotüren auch öffnen und sich ergeben wollen, aber dafür hätte er einen Knopf drücken müssen und in Anbetracht der gezogenen Waffen habe er Angst gehabt, dass seine Handlung missgedeutet wird. Seine letzte Erinnerung sei dann ein dumpfes Geräusch gewesen – wohl der Schusseinschlag im Körper – bevor er kurz noch einmal auf dem Feld liegend zu Bewusstsein kam.
Er habe damals regelmäßig Crystal konsumiert, bestätigte er auf die Frage des Richters. So ganz schienen seine Erinnerungen auch nicht zu stimmen, denn die nächste Zeugin war eben jene „blonde“ Polizistin, die vor Gericht rotbraunes Haar hatte und auf Anfrage sagte, dieses sei vor fünf Jahren eher noch dunkler gewesen.
„Ich dachte nur: Scheiße!“
Polizistin, die als Zeugin aussagte
Sie sei damals erst etwa einen Monat aus der Polizeischule heraus gewesen, ihr Kollege auch nicht viel erfahrener. „Man war total aufgeregt. Auf jeden Fall war es hektisch und erstmal unkoordiniert am Anfang“, erzählte sie. An vieles konnte sie sich nicht mehr erinnern. Aber nach dem Einschlagen der Scheibe hätten sie den Mann aus dem Auto gezogen. Während sie ihn fesseln wollten, habe er um sein Asthmaspray gebeten und gesagt, er kriege keine Luft. Dann habe sie die Verletzung und das Blut gesehen.
Junge Polizistin spricht von Hektik und Aufregung
Zumindest ihrer ersten Aussage bei der Polizei nach habe dann der erfahrene Angeklagte alles weitere geregelt: Standort und Verletzungsgrad gemeldet, den Rettungswagen angefordert und so weiter.
„Ich war auch geschockt wegen der Verletzung und habe gefragt, wo die herkommt“, berichtete sie. Diese habe ausgesehen wie eine Schusswunde – „in real“ habe sie so etwas zuvor aber noch nie gesehen. Ihrer ersten Aussage nach habe der angeklagte Kollege sein Magazin überprüft und dabei festgestellt, dass drei Patronen fehlten. Sie: „Ich dachte nur: Scheiße!“
Polizist aus Gardelegen muss 6.000 Euro zahlen
Nach dieser Aussage folgte eine längere Unterbrechung der Verhandlung, während der sich Richter, Staatsanwältin und der Anwalt des Angeklagten zur Beratung zurückzogen. Am Ende stimmte der Angeklagte einer „153a-Lösung“ (Paragraf zum Absehen von der Verfolgung unter Auflagen und Weisungen) zu.
Heißt: Gegen Zahlung von 6.000 Euro – 3.000 an den Verletzten und 3.000 an eine gemeinnützige Einrichtung – wird das Verfahren eingestellt. Der Angeklagte bat darum, an das Gardelegener Tierheim zahlen zu dürfen. Auch die Anwaltskosten des Verletzten muss er zahlen.
Richter Thomas Schulz fasste am Ende zusammen, ihm sei geschildert worden, dass der Angeklagte immer gewissenhaft seinen Dienst versehen habe. Aber in diesem Falle sei die Sache wohl „aus dem Ruder gelaufen“, und es gebe sicher geeigneteres Werkzeug zum Einschlagen einer Scheibe als eine geladene Waffe.