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Dorfleben Die einzige Kneipe bis Berlin

Kneipen sterben aus. Es lohnt sich nicht. Die Hottendorfer zeigen, dass es geht: Eine Kneipe, ein Dorf - und alle halten zusammen.

Von Gesine Biermann 11.02.2019, 05:00

Hottendorf l „Ab 18 Uhr geöffnet“, steht am Aufsteller draußen vor der Tür. Den liest in Hottendorf aber eigentlich keiner. „Wenn das Licht an ist, ist offen“, sagt Michael Ganzer. Der ist hier der Chef. Vor ein paar Jahren hat er der Stadt den alten, lange leerstehenden Gasthof samt Saal abgekauft. „Eigentlich aus einer Laune heraus.“ Den Saal brachte Ganzer als erstes wieder auf Vordermann. Der wird nun regelmäßig für Feiern genutzt. Dann, vor etwa drei Jahren, kam die Kneipe dran. Seither ist diese in der Woche täglich mittags geöffnet – und an jedem Freitagabend.

Wie gut das bei den Hottendorfern ankommt, ist am vergangenen Freitag nicht zu überhören. Bis vor die Tür klingt lautes Lachen. Der Stammtisch ist voll, zwei weitere Tische auch. „Ich komme fast jeden Freitag her“, sagt zum Beispiel Wolfgang Schubert. Als Kraftfahrer sei er viel unterwegs. Am Ende der Arbeitswoche freue er sich dann umso mehr auf einen gemütlichen Schwatz mit den Nachbarn aus dem Dorf. „Und meine Frau sieht das ganz gelassen.“ 
Stefan Netzel, zwei Stühle weiter, kann da allerdings überbieten: „Meine legt mir sogar freitags ab und zu Geld hin“, erzählt er. Offenbar sind die Hottendorferinnen also ganz entspannt, wenn ihre Männer freitags mal auf ein Bierchen gehen ...

Das zapft hier übrigens Anja Ganzer. Und zwar absolut professionell. Michael Ganzers Frau ist nämlich Gastronomin. „Eigentlich habe ich das hier auch nur für meine Frau gemacht“, sagt der Gatte am Freitagabend augenzwinkernd. „Mir gehört der Laden, aber sie ist die Geschäftsführerin.“ Das sei bei ihm zu Hause aber auch nicht anders, tröstet Wolfgang Schubert kollegial. Alles lacht. Man versteht sich eben am Stammtisch.

Der ist rund und sogar der kleinste in der Kneipe, gedacht für etwa vier bis fünf Leute, manchmal würden freitags aber bis zu zehn Leute allein an diesem einen Tisch sitzen, erzählen die Männer. Lars Bünnig aus Hottendorf ist diesmal auch mit dabei. Ronald Grahl ebenfalls. Philipp Brettschneider ist sogar aus Gardelegen gekommen und Christian Meier aus Jävenitz. „Bei uns ist ja nix los“, sagt der achselzuckend. Überhaupt: Sie hätten mal überlegt: Zwischen Gardelegen und Rathenow sei die Hottendorfer wohl die einzige Kneipe, erzählen die Männer am Stammtisch. „Eigentlich sogar die einzige bis Berlin“, stellt Stefan Netzel klar. Denn in Rathenow liege, zumindest direkt an der B 188, kein Gasthaus. Und ganz sicher kein so gemütliches.

Dabei war der Raum komplett leer, als Ganzer ihn übernahm. Neues Mobiliar kam für den Hottendorfer aber nicht infrage. „Es sollte ja wieder urig werden.“ Und so holte sich Ganzer, der hauptberuflich in der Kampfmittelbeseitigung arbeitet, das Interieur von überall zusammen: Die Kneipenbänke aus dem Ruhrpott, den Tresen aus Hannover und die Stühle aus Berlin. Nur die alten Stalllampen an der Decke stammen aus dem Dorf. Sie sind ein Geschenk.

Aber das haben Michael und Anja Ganzer ihrem Dorf mit ihrer Idee, den Gasthof wiederzubeleben, ja eigentlich auch gemacht. Denn natürlich sei es ein Risiko gewesen, vor allem finanziell, bestätigt Ganzer. Das gesamte Gebäudeensemble sei ein Einzeldenkmal, was den Um- und Ausbau nicht unbedingt preiswerter gemacht habe, vom unternehmerischen Risiko, eine Gaststätte auf dem Dorf zu betreiben, mal ganz angesehen.

Doch die Hottendorfer wissen das augenscheinlich zu schätzen: Sie danken es den beiden nämlich, indem sie das Angebot annehmen – nicht nur freitagsabends. Der Saal sei gut ausgebucht, der Mittagstisch werde gut angenommen, zu den Dart- oder Skatturnieren sei die Hütte immer voll, versichert Michael Ganzer. Und auch der Ortschaftsrat oder die Feuerwehr verlegen ihre Sitzungen seither meist in seine Gaststube. „Wir lassen eben unseren Kneiper auch mal was verdienen. Leben und Leben lassen“, sagt Wolfgang Schubert. „Früher wurden alle wichtigen Geschäfte schließlich auch am Stammtisch gemacht.“