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Ehrenamt Ein Hingucker - seit Jahrzehnten

Den Blumenstrauß des Monats Oktober erhält Ingrid Achtert. Sie pflegt einen Gedenkstein der Todesmärsche.

Von Gesine Biermann 20.10.2017, 21:00

Mieste l Im Moment sieht er besonders schön aus. Schon von weitem leuchtet der weiße Stein mit dem roten Winkel. „Gerade am Montag haben ihn Mitarbeiter der Lebenshilfe frisch gestrichen“, freut sich Ingrid Achtert. Da kommt auch die Schale mit den blühenden Begonien so richtig zur Geltung. Jeder, der vorbeigeht an diesem Gedenkstein zwischen dem Ortsausgangsschild von Mieste in Richtung Krügerhorst und dem Friedhof kann sehen: Hier wird nicht vergessen, was hunderte KZ-Häftlinge im April 1945 erdulden mussten.

Von den Bahnhöfen in Mieste und Letzlingen waren sie kurz vor Ende des Zweiten Weltkrieges nach Gardelegen getrieben worden. Über tausend Männer waren dann am 13. April 1945 in der Isenschnibber Feldscheune brutal ermordet worden. Und auch auf den Straßen starben unzählige von ihnen.

64 Gedenksteine sollen an ihr Leid erinnern. Einer davon „gehört“ Ingrid Achtert. Ende der 60-iger Jahre hatte sie ihn nämlich adoptiert. Drei Mal im Jahr, immer im Frühling, im Sommer und im Herbst bepflanzt sie die Blumenschale in dem dreieckigen Beet vor dem Stein. Fast 150 mal hat sie das schon getan. Wie oft sie allerdings schon da war, um Unkraut zu zupfen, den Stein abzuwischen oder welke Blüten zu entfernen, kann sie wohl nicht mehr beziffern. Fast jeden Tag geht sie die Runde mit dem Familienhund. Derzeit ist es Benny, ein Vierteljahr alt und ziemlich energisch. Der Rauhaarteckel freut sich immer schon auf den Spaziergang. Und Frauchen, manchmal auch Herrchen, kann ganz nebenbei den obligatorischen prüfenden Blick auf „ihren“ Stein werfen.

Schon deshalb gehört der wohl zu den am sorgfältigsten gepflegten Mahnmalen in der Einheitsgemeinde Gardelegen. „Ich höre es oft auch von Leuten, die daran vorbeigehen, dass sie sich darüber freuen, dass der Stein so ordentlich aussieht“, sagt Ingrid Achtert. Das Lob freut sie. Machen würde sie es aber auch ohne. „Es ist mir ein Bedürfnis“, sagt sie. Ganz einfach. Selbst die in den vergangenen Jahrzehnten schon mehrfach geklauten Blumenschalen können sie nicht entmutigen.

Und die pensionierte Lehrerin kann sich auch noch gut erinnern, wie alles begann. Ende der 60-er Jahre war sie nämlich mit der Pioniergruppe ihrer damaligen sechsten Klasse an einem Nachmittag mal zum Stein gewandert, mit dabei der ehemalige Miester Bürgermeister Karl Lauterbach, der als Verfolgter des Naziregimes den Kindern von der Zeit erzählte, als Deutschland noch Hitlerdeutschland war.

Und auch sie selbst erzählte den Kindern von den Geschehnissen, die dazu führten, dass Menschen diese Steine aufstellten. Damals habe man ja noch geglaubt, überall, wo ein Stein stehe, sei ein Häftling gestorben, sagt Ingrid Achtert nachdenklich. Heute wisse sie, dass das nicht so ist. „Alle 500 Meter steht so ein Stein, um die Stecke zu kennzeichnen“, sagt Achtert.

Ihre Schüler waren damals denn auch sehr beeindruckt. Und sie hatten natürlich Blumen mitgenommen. „Von da an haben wir den Stein weiter gemeinsam gepflegt.“

Als ihre Klasse die Schule verließ, nahm Ingrid Achtert ihre beiden Töchter, die siebenjährige Silke und die sechsjährige Beatrice, mit zum Stein. „Und dann haben wir es immer zusammen gemacht.“ Mittlerweile sind ihre Mädchen aber längst erwachsene Frauen. Und so macht Ingrid Achtert eben allein weiter. Mittlerweile seit fünf Jahrzehnten.

Um das Mähen, und ab und an um frische Farbe, kümmert sich im Auftrag des Fördervereines der Gedenkstätte Feldscheune Isenschnibbe die Lebenshilfe. Um den Rest sorgt sich die Miesterin, in ihrer privaten Zeit und ohne finanzielle Zuschüsse. Anstelle eines Blumenstraußes hatte sich Ingrid Achtert allerdings lieber einen Pflanzengutschein gewünscht. Logisch: Im nächsten Jahr will sie wieder pflanzen.