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Pferdezucht „Dann züchten wir eben“

Familie Pietscher aus Zethlingen hat 2020 wieder einen großen Erfolg in der Pferdezucht gelandet.

Von Meike Schulze 01.01.2021, 22:00

Zethlingen l „Entweder richtig oder gar nicht“ – das ist das Lebensmotto von Lutz Pietscher aus Zethlingen. Der 55-Jährige und seine Frau Andrea (54) genießen seit Jahren weit über die Landesgrenzen hinaus den Ruf exzellenter Pferdezüchter. Ein Erfolg, für den sie vor 23 Jahren den Grundstein legten, als sie sich entschieden, zusammen mit Gerte und Reitkappe den aktiven Pferdesport an den berühmten Nagel zu hängen und stattdessen „Pferde für den Busch“ zu züchten. Mit Asha P (vom Hengst Askari aus Hera von Heraldik xx) ist das vortrefflich gelungen. Die kernige Stute aus dem Hause Pietscher (deshalb das P) ist seit dem Jahr 2018 in der Pferdsportszene in aller Munde, nachdem sie unter der mehrfachen Olympiasiegerin Ingrid Klimke Weltmeisterin der siebenjährigen Vielseitgkeitspferde wurde. Nach der Silbermedaille im vergangenen Jahr holte sich das Paar dieses Jahr den Deutschen Meistertitel in der Vielseitigkeit.

Aktuell können sich Pietschers über einen weiteren außerordentlichen Zuchterfolg freuen. Der von ihnen gezogene Hengst Oganero P (Ogano Sitte-Lyjanero) wurde Sieger der diesjährigen Körung beim Schaufenster der Besten in Neustadt/Dosse (Volksstimme berichtete) und tritt dort im nächsten Frühjahr seine erste Saison als Deckhengst an. „Das ist unser bisher größter Erfolg.“ Dass dieser dem Ehepaar zu Kopf steigt, ist nicht anzunehmen. Die viele Arbeit im eigenen Landwirtschaftsbetrieb, der Pietscher GbR, mit 140 melkenden Kühen, sorgt ebenso für Bodenhaftung wie die Verwurzelung in der Altmark und die Verbundenheit zu Familie, Freunden und dem Pferdesport.

Die Faszination für den Pferdesport entdeckten Eheleute im Alter von etwa zehn Jahren. Andrea Pietscher lebte damals in Oschersleben mit ihrer Familie in einem Mehrgeschosser. Ihr Wunsch, reiten zu lernen, erfüllte sich durch eine Bekannte ihrer Mutter. So begann sie in Ausleben zunächst mit dem Voltigieren und erreichte 1982 bei der DDR- Meisterschaft mit der Gruppe sogar einen achten Platz. Das war in dem Jahr, in dem sie als Jugendliche in den Springsattel wechselte. Ihr größter sportlicher Erfolg war der Bezirksmeistertitel im Jugend-A-Bereich.

Lutz Pietscher hatte durch seinen zwölf Jahre älteren Bruder Gefallen am Reiten gefunden. „Von meinem Vater habe ich dann ein Pony bekommen, mit dem ich ein bisschen Indianer gespielt habe.“ Ansonsten verrichtete der 1,40 Meter kleine kernige Schimmel namens Bubi, der ein Alter von 40 (!!!) Jahren erreichte, Ackerarbeit für die Familie und Dorfbewohner. Mit zwölf Jahren hat Lutz Pietscher in Kakerbeck aktiv begonnen zu reiten. „Das war eine sehr leistungsorientierte Sektion im Vielseitigkeitsreiten und ich durfte die Pferde meines Bruders und von Carmen Schröder mitreiten“, erzählt er. Im Alter von 13 Jahren begann dann die Turnierkarriere, die der 27-Jährige im Jahr 1990 mit dem DDR-Meistertitel in der Military krönte. „Bis zur Wende waren wir sportlich sehr ambitioniert und wären auch gerne ins Ausland gefahren, aber das war damals nicht in der Sportförderung.“

Mit der politischen Wende standen Lutz und Andrea nicht nur einer ungewissen sportlichen, sondern auch beruflichen Zukunft gegenüber. Beide hatten gerade ihr Agraringenieurstudium in Wernigerode abgeschlossen und wussten nicht, wie es weitergehen soll. Nur eines wussten sie, nachdem es in den drei Jahren zwischen ihnen irgendwann bei einem der unvergessenen schönen Abende im Internatskeller gefunkt hatte: dass sie zusammenbleiben wollen.

Dass die Eltern von Lutz Pietscher in der Landwirtschaft gearbeitet haben – „in den 1950-er Jahren wurden sie aus der Privatwirtschaft in die LPG gezwungen“ – war ein Grund dafür, dass der Junior nach Zethlingen zurückkam. Zunächst arbeitete er ein halbes Jahr in der neugegründeten Agrargenossenschaft und wagte dann zusammen mit seiner Zukünftigen (1994 wurde geheiratet) und mit Unterstützung seiner Mutter und seines Onkels den Weg in die Selbstständigkeit. Der Vater war 1989 verstorben.

Die Voraussetzungen waren alles andere als rosig, „weil wir zwar die Hofstelle aber keine Gebäude mehr hatten“. Dank der glücklichen Fügung, im Nachbarort entsprechende Gebäude nutzen zu dürfen, konnte der Plan vom eigenen Landwirtschaftsbetrieb umgesetzt werden. „Am 16.3.1991 stallten wir 13 Kühe und zwei Färsen ein, die wir von der ehemaligen LPG Zethlingen als Inventarbeitrag bekamen. 40 Kuhplätze im Stall waren bald voll“, hat Andrea Pietscher in der Familienchronik zusammen mit entsprechenden Fotos festgehalten. Als Zwei-Mann-Betrieb gestartet, arbeiten in der GbR heute neben den Chefs drei Festangestellte und anderthalb Minijobber. Der Kuhbestand ist auf 150 angewachsen.

Die Sache mit den Pferden entwickelte sich ebenfalls. Da leistungsorientiertes Trainieren mit eigenem Betrieb nicht mehr so wie bisher möglich war und er kein Freund von halben Sachen ist, zog Lutz Pietscher Mitte der 1990-er Jahre konsequent den Schlussstrich und sagte: „Dann züchten wir eben.“ Buschpferde sollten es sein. Aber mit den Wallachen der Ex-LPG, mit denen die Sportler so erfolgreich waren, ging das nicht. Allerdings war der Grundstein mit Alpenfee, die er von Eckhard Rickel aus Apenburg gekauft hatten, schon gelegt. Sie war 1993 als erste Zuchtstute auf den Hof gekommen, „als ich noch halbaktiv geritten bin und wir überlegt hatten, ein Fohlen zu ziehen“. Alpenfee ist die Urururur-Großmutter von Oganero P.

Zuchtstute Nummer zwei wurde Astrid (Amethyst-Drilling). Die charakterlich starke und sehr schwierige Stute kam dreijährig zum Einreiten auf den Hof, „was aber erstmal nicht gelang“. Daraufhin bot die Agrargenossenschaft das kernige und vielseitig veranlagte Pferd zum Kauf an, Pietschers übernahmen sie, ritten sie dann vierjährig ein, stellten sie bei der Stutenprüfung vor und begannen auch mit ihr zu züchten. „Sie ist die Begründerin der Linie, der auch Asha entstammt“, erklärt Lutz Pietscher, „und sie läuft heute noch, mit 28 Jahren, putzmunter als Oma auf der Wiese.“

Die Paarung von Astrid mit Heraldik xx (er ist ein englischer Vollbluthengst und hat deshalb die zwei x hinter seinem Namen) erwies sich als Glücksgriff, aus der die Überleistungsstute Hera entstand, „aus der sich dann wirklich so viele Leistungspferde herauskristallisiert haben“. Zwischenzeitlich gab es auch noch eine dritte Linie, zu der unter anderem Sandrino (Saccor-Derwisch, geboren 2003) gehörte, der bis zur Auflösung des sachsen-anhalter Landgestütes Prussendorf dort Landbeschäler war. Hatten Pietschers bei der Zucht sehr lange auf ostdeutsches Blut gesetzt, waren sie mit Heraldik xx überregionaler geworden. „Diese Linie, zu der Oganero gehört, das sind alles wirklich sehr artige, rittige Pferde, nicht so schwierig und speziell wie die Linie, der Asha entstammt“, plaudert Lutz Pietscher aus dem Nähkästchen. Und dass er, „wenn das erste Fohlen nicht völlig aus der Bahn geraten ist“, jeden Hengst zweimal zum Zuge komme lässt. „Außer bei Askari (v. Akkort II-Lavall I) habe ich mal eine Ausnahme gemacht, da gibt es vier Vollgeschwister.“ Einer von ihnen ist Araldik, der fünfjährig Vizebundeschampion im Springen war.

Über die Zuchtstämme ließen sich ganze Bücher schreiben und darüber zu erzählen füllt Abende. Zeit, die Pietschers selten haben. „Unser Haupterwerb ist die Milchproduktion“, stellen sie klar. Aber sie hoffen, „dass die Pferde irgendwann mal den Betrieb in finanzieller Hinsicht unterstützen“. Bei allem, was sie bisher erreicht hatten, sei finanziell wenig übrig geblieben, da in der Vielseitigkeit keine Fohlen oder Jungpferde gekauft würden, sondern Pferde, die schon gezeigt haben, dass sie etwas können und eine entsprechende Ausbildung samt Beritt absolviert haben. Da brauchen Züchter einen langen Atem – und gute Ausbildungsställe mit Reitern, die die Pferde zu nehmen und behutsam an den Sport heranzuführen wissen. „Da sind wir sehr froh, dass wir mit Familie Deparade einen tollen Ausbildungsstall“ im 15 Kilometer entfernten Engersen haben. Dort wurde auch Oganero P oder besser gesagt Otto, wie er zu Hause einfach nur heißt, auf seinen Weg gebracht.

Und was ist Otto für ein Pferd? „Eine Persönlichkeit, sehr dominant, aber wenn er verstanden hat, worum es geht, sehr leistungsbereit und dann auch einfach zu handhaben.“ Vom Umgang her ist er sehr anhänglich und durchaus verschmust und pflegleicht. Eigenschaften, die die meisten der drei bis sechs Fohlen (und späteren Jungpferde) ebenfalls haben, die jedes Jahr im Stutenstall der Pietscher GbR geboren werden. Seit einigen Jahren tragen sie das P hinter ihrem Namen, als Verweis auf die Züchterfamilie Pietscher.

Allerdings ist nicht jedes Pferd ein „Kracher“. Das wird auch bei der sogenannten Fohlenparty-Runde diskutiert, die sich seit Jahren auf private Fohlenschau begibt. Es ist eine Truppe aus befreundeten Züchterfamilien der Region, die sich zur Begutachtung und geselligen Auswertung auf den jeweiligen Höfen treffen, wenn alle Fohlen des Jahrgangs geboren sind. „Das ist immer wie ein Familientreffen. Da gibt es keinen Neid oder so, sondern einfach nur eine ehrliche Einschätzung und auch gegenseitige Hilfe, auf die sich jeder verlassen kann.“ „Überhaupt“, sagen Pietschers, „haben wir im Bekanntenkreis sehr viele Helfer und Unterstützer, ohne die es überhaupt nicht möglich wäre, zu Fohlenschauen zu fahren oder an züchterischen Events teilzunehmen. Die helfen und tun und machen, das ist unbezahlbar.“ Corona-bedingt musste die Danke- und Siegerparty dieses Jahr ausfallen. „Aber sobald es geht, wird sie nachgeholt.“ Vielleicht gibt es dann schon weitere Erfolge zu feiern. Nächstes züchterisches Ziel ist, bei der Staatsprämienschau eine Siegerstute zu stellen. „Den Reservesieg und sehr gut prämierte Stuten hatten wir schon“, und mit der braunen Stute vom Hengst Eldorado „haben wir etwas sehr Schönes im Stall“. Die junge Lady war 2018 Siegerfohlen beim Championat in Neustadt.

Auf dem Hof leben neben dem Züchterpaar noch die fast zweijährige Berner Sennen-Hündin Nala, Katzen und Hühner, die fürs Frühstücksei sorgen. Während der Frühlings- und Sommermonate thront auf dem Dach auch ein Storchenpaar, das über alles wacht. Die mittlerweile erwachsenen Söhne des Paares, Hannes und Aaron (1997 und 2000 geboren), sind bereits ausgeflogen und studieren. Dass einer von ihnen mal den Hof übernimmt, ist noch nicht abzusehen. Aber wer weiß, vielleicht ist es eine Freundin mit Pferdetick oder besonderer Tierliebe, die das mal günstig beeinflusst...