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Welt-Behindertentag Vom langen Hoffen auf eine Chance

Der 35-jährige Alexander Näb arbeitet bei der Lebenshilfe Gardelegen. Trotz seiner Behinderung möchte er unbedingt einen Job.

Von Stefanie Brandt 03.12.2020, 04:00

Gardelegen l „Ich möchte mich weiterentwickeln, an meinen Fähigkeiten arbeiten.“ Alexander Näb weiß, was er will: eine feste Anstellung. Doch der 35-Jährige muss mit einer Behinderung leben, die ihn praktisch doppelt einschränkt, denn neben der eigentlichen Behinderung verbauen ihm Vorurteile die Berufschancen.

Wie Autoscooterfahren sieht es aus, wenn Alexander Näb mit seinem Gabelstapler gewandt seine Runden auf dem Hof der Lebenshilfe in Gardelegen dreht. Bestens gelaunt steuert er beim Gesprächstermin mit der Volksstimme anlässlich des Welttages der Menschen mit Behinderungen das Gefährt so sicher, als wäre er damit verwachsen. „Mit dem Stapler macht ihm so schnell keiner etwas vor. Auf dem Hof hier kennt er sich bald besser aus als wir. Er weiß genau, was in welcher Kiste ist und wo sie hin muss“, bestätigt Marcel Falk, Gruppenleiter bei der Lebenshilfe, den Eindruck. Und Kisten gibt es auf dem Hof der Werkstatt für Menschen mit Behinderungen sehr viele. Darin enthalten sind Teile für die Automobilbranche und Abfälle aus der Industrie, die recycelt werden. Doch obwohl Alexander Näb seine Aufgaben gut erledigt, ist sein großer Traum, eine richtige Anstellung zu finden, bisher nicht in Erfüllung gegangen. Einen Grund dafür sieht er in seiner Behinderung.

Dabei ist dem jungen Mann kaum anzumerken, dass er mit Einschränkungen leben muss. „Als ich ein kleines Kind war, ist mir ein Lautsprecher hier auf den Kopf gefallen“, spricht er über die Ursache und zeigt sich auf die Stirn. „Mir fällt seitdem das Sprechen schwer, auch das Lesen und Schreiben, vor allem Handschrift“, sagt er mit leichtem Akzent.

Dieser verrät seine Herkunft. 2002 kam Näb mit seiner Familie aus Kasachstan in die Bundesrepublik. In seiner Heimat konnte er wegen seiner Behinderung keine Schule besuchen. Auch in Deutschland ging der damals 17-Jährige nicht mehr in die Schule. Umso beeindruckender, wie er sich trotz seiner Behinderung die Sprache aneignete. „Ich hatte keinen Kurs, habe aber versucht, mir immer mehr kleine Worte zu merken“, so der ehrgeizige 35-Jährige.

Seit 2005 ist er bei der Lebenshilfe in Gardelegen, erst im Berufsbildungsbereich, in dem Fähigkeiten und Interessen ausgelotet werden, 2006 wurde er im Arbeitsbereich eingesetzt. Eine Ausbildung zum Montierer und eine zum Lagerassistenten hat er in dieser Zeit erfolgreich abgeschlossen, den Gabelstaplerführerschein gemacht. Er arbeitet in einer 38,5-Stunden-Woche, fährt jeden Morgen von seiner eigenen Wohnung in Gardelegen aus mit dem Rad in das Gewerbegebiet zu seinem Arbeitsplatz. Für einen Auto-Führerschein lernt er noch, hofft, ihn irgendwann zu schaffen. Natürlich könnte Näb auch nur von der Grundsicherung leben, aber ihm mache die Arbeit Spaß, nur zu Hause zu sitzen, das wäre doch langweilig, sagt er mit einem Lächeln.

Zwischenzeitlich war sogar sein Wunsch nach einem ausgelagerten Arbeitsplatz in Erfüllung gegangen. Bei der Firma Swedwood half er bei der Herstellung von Regalen für Ikea, arbeitete mit Menschen ohne Behinderung zusammen. Doch die Firma schloss. Seitdem wünscht sich Alexander Näb wieder eine Anstellung außerhalb der Lebenshilfe, auch in Schichten würde er arbeiten.

„Es wäre schön, wenn die Leute einem einfach eine Chance geben. Ich würde gern ein Praktikum machen, es einfach ausprobieren“, ist er traurig, dass er keine Möglichkeit bekommt, sich zu beweisen. Doch die Vermittlung der Menschen mit Behinderung ist sehr schwierig, wie Lebenshilfe-Werkstattleiter Harry Wenzel weiß. Seit Jahren ist er bemüht, Unternehmen zu finden, die seinen Schützlingen eine Chance, einen Praktikumsplatz, geben. Bei der Lebenshilfe erhalten sie zwar einen Grundlohn, einen Leistungslohn, der in sieben Stufen unterteilt ist, und einen Arbeitsförderungslohn. Der Wunsch nach „richtiger“ Arbeit sei trotzdem groß.

„Alexander ist ein sehr umgänglicher Typ, umsichtig und kollegial. Er muss nur lernen, öfter den Mund aufzumachen“, weiß Marcel Falk den Mitarbeiter zu schätzen. Weil es mit der Job-Vermittlung bisher noch nicht geklappt hat, versucht er, dem leidenschaftlichen Staplerfahrer einen anderen Wunsch zu erfüllen: die Teilnahme an einer Gabelstapler-Meisterschaft.