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Windenergieanlagen Don Quijote modern: Ein Mann muss nach oben

Es ist sein Traumjob: Wenn er arbeitet, dann schaut er auf alle anderen runter. Thomas Nix aus Gardelegen pflegt Windräder.

Von Gesine Biermann 30.07.2017, 03:00

Gardelegen l Eigentlich ist er sowas wie ein moderner Don Quijote. Auch er ein fahrender Ritter, der sich todesmutig in Abenteuer und Gefahren stürzt. Nur, dass er nicht auf der klapprigen Rosinante einher kommt, sondern in einem modernen Firmenwagen. Und es gibt noch einen Unterschied. Denn Thomas Nix sieht seine „Windmühlen“ nicht als Ungeheuer. Er liebt sie, diese eleganten Riesen. „Jede hat ihre eigene Ästhetik“, schwärmt er sogar. Und er pflegt sie gern. Schon rein beruflich.

Ob man in so einem Job arbeiten kann, oder nicht „hat man einfach im Urin“, sagt Nix. Höhenangst darf man natürlich nicht haben, „auch wenn ich im Riesenrad, wenn es runter geht auch immer ein komisches Gefühl habe ...“ Vor allem aber müsse man fit sein. Allein vier spezielle Gesundheitstests unterlaufen Bewerber, bevor es überhaupt losgehen kann. Und Technikverständnis ist natürlich Voraussetzung. Zu DDR-Zeiten hat der 47-Jährige landwirtschaftliche Maschinen repariert. Die standen auf der Erde. Jetzt sind es eben Windenergieanlagen. Die sind etwas höher. Zuweilen geht es 143 Meter nach oben. Und da ist Klettern angesagt. Rund 15 Minuten brauche er, schätzt Nix ein. „Es gibt Kollegen, die schaffen es in unter zehn.“ Aber es sei ja kein Wettbewerb. „Jeder hat seinen eigenen Rhythmus.“ Für die ganz hohen Anlagen gebe es zudem einen Cliffer, ein Gerät, das am Körper befestigt und dann in eine Schiene an der Leiter eingehängt wird und einen dann noch oben zieht.

Als er das erste Mal oben war, und dann auch noch open Air, also über ihm nur der Himmel, „da haben mir aber schon die Knie ein bisschen gezittert“, gibt er lächelnd zu. Zudem stehen die Türme nicht still. Ganz oben könnten sie schon mal ordentlich schwanken. „Aber das muss man eben abkönnen“, dann sei es eine Arbeit, wie viele andere auch. Eben Gewöhnungssache.

Wobei man Gewöhnung und Routine aber auseinanderhalten müsse. Denn in einer solchen Höhe „muss man immer hochkonzentriert bleiben“. Schon im Eigeninteresse. Allein eine herabfallende Schraube oder gar ein Werkzeug kann großen Schaden anrichten. „Man selbst ist natürlich mehrfach gesichert. Eigentlich kann auch nichts passieren, wenn man alle Vorschriften einhält.“ Und doch sei es gut, den Respekt vor der Höhe nicht zu verlieren, sagt Nix. Und: „Was gar nicht geht, ist Hektik!“ Denn dort oben kann ein Fehler ein tödlicher sein. Für einen selbst, oder einen Kollegen, der dort mitarbeitet.

Doch was gehört eigentlich dazu, zu so einer Wartung? „Eigentlich ist es so, als wenn man sein Auto in die Werkstatt bringt“, beschreibt Nix. „Da muss Öl nachgefüllt, müssen Filter oder Kohlebürsten gewechselt oder bestimmte Messungen gemacht werden.“ Auf jeder Anlage gibt es zum Beispiel eine Wettermessstation. „Wir bekommen eine To-do-Liste, und die wird abgearbeitet.“

Große Werkzeuge oder Geräte werden zumeist mit dem Kran nach oben geholt. „Sein eigenes Werkzeug hat jeder am Mann.“ Und wenn ein Schraubenschlüssel aus Versehen noch im Auto liegt? Das sorge für Schadenfreude bei den Kollegen, sagt Nix. „Dann hat derjenige nämlich eine Freifahrt.“ Das ist Windkraftwerkerjargon und bedeutet: Einmal runter und wieder rauf – zusätzlich.

Übrigens: So eine Wartung oder Reparatur kann schon mal etliche Stunden dauern. Proviant, vor allem etwas zu Trinken, sollte man deshalb für ein Mittagessen über der Welt schon dabei haben. Denn manchmal ist schließlich nicht einmal herunterklettern möglich. Auf den Offshore-Anlagen, also auf solche, die im Wasser stehen, werden die Mechaniker und ihr Werkzeug nämlich aus einem Hubschrauber über einem Helikopterdeck abgeseilt.

Und wenn man mal muss? „Dann heißt es per Funk an die Kollegen unten: Vorsicht golden Shower (goldene Dusche)“, verrät Nix grinsend. Auch Windkraftwerkerjargon. Männer eben. Und doch, manchmal werden dort, so nah am Himmel, auch die echten Kerle mal emotional. Denn der Anblick von dort oben lasse einen nicht kalt, versichert Nix. „Das ist einfach großartig. Dort wird einem dann auch immer wieder bewusst, wie schön unser Land doch ist.“