Genthin ohne Kinderarzt / Sperrklausel verhindert schnelle Neueröffnung Arzt im Ruhestand, neue Praxis verboten
Genthin. Seit Jahresbeginn gibt es in Genthin keinen Kinderarzt mehr. Wie kann über Nacht eine so wichtige ärztliche Versorgung in einer 15000-Einwohner-Stadt einfach wegbrechen? Ist das auch in anderen Städten möglich?
lDer Krankenstand in der Genthiner Kindertagesstätte "Käthe Kollwitz" ist derzeit überschaubar. "Von unseren 114 Kindern sind nur 18 krank gemeldet", erzählt Susanne Knechtel, stellvertretende Leiterin. Durchfall haben einige und Erkältungen. "Viele Eltern schimpfen, weil sie jetzt richtig weite Wege zum Arzt zurücklegen müssen." 30 Kilometer und mehr. Viele Mütter mit dem Zug, weil der Mann das Auto braucht. "Genthin ohne Kinderarzt - das bewegt die Leute sehr", sagt auch Thomas Barz, ab 1. April neuer Bürgermeister von Genthin. Bei seiner Wahlkampftour sei er ständig darauf angesprochen worden.
15000 Einwohner hat die Stadt. Knapp 2000 sind unter 16 Jahre jung. Waren die Kinder krank, saßen sie überwiegend im Wartezimmer von Dr. Ursula Jäckel, der einzigen Kinderfachärztin von Genthin - bis zum 31. Dezember 2012. "Dann hat sie ihre Praxis ohne Nachfolgeregelung aus Altersgründen geschlossen", sagt Mathias Tronnier, Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Sachsen-Anhalt (KV). So etwas käme "eher selten" vor.
In der Regel haben der Arzt, der eine Praxis schließt und der Arzt, der sie übernimmt, ein gemeinsames wirtschaftliches Interesse. Tronnier: "Der eine will die Einrichtung veräußern, der andere die Patienten übernehmen." Im vorliegenden Fall sei die Praxis "nur knapp unter Durchschnitt" ausgelastet gewesen, so der KV-Chef. Sie hätte also wirtschaftlich solide weitergeführt werden können.
Kinderärztin Jäckel will zur Problematik nichts sagen. Zweifellos ist die Frage, ob sie mit einem Nachfolger eine Einigung erzielt oder nicht, ihre private Angelegenheit. Nur hatte die Schließung der Praxis ohne Nachfolger weitreichende Folgen: Die kinderärztliche Praxiszulassung für Genthin ist durch die Schließung generell erloschen. Im Fall einer Weiterführung durch einen anderen Arzt wäre eine Bestandsschutzregelung wirksam geworden. Doch das ist nun hinfällig.
Erloschen ist die Möglichkeit einer Neuzulassung, weil mit derzeit vier Kinderärzten das Jerichower Land schon als überversorgt gilt. Nach einem komplexen Schlüssel, der Bevölkerung zu Arztstellen ins Verhältnis setzt, greift eine Sperrklausel ab 110 Prozent Versorgung. KV-Chef Tronnier: "Das Jerichower Land erreicht jetzt 116 Prozent." Nach einem neuen Schlüssel, der ab dem 1. Juli bei Kinderärzten nur noch die Bevölkerung der unter 18-Jährigen erfasst, werde die Überversorgung rein rechnerisch sogar 139 Prozent betragen.
Ein Arzt geht ohne Nachfolger in den Ruhestand - und plötzlich greift die Sperrklausel. So wie in Genthin könnte das in vielen Städten und Landkreisen passieren. Denn ärztliche Überversorgungen - auf dem Papier - sind durch die demografische Entwicklung nicht selten.
Genthin kann trotzdem auf eine baldige Neubesetzung der Kinderarztstelle hoffen. Ein Zulassungsausschuss der KV kann Ausnahmeregelungen treffen und eine kinderärztliche Neuzulassung auf Genthin begrenzen. "Darüber kann der Ausschuss im April auch kurzfristig entscheiden, wenn eine Bewerbung vorliegt", so Mathias Tronnier.
Bislang liegt keine vor. Ein Arzt aus Brandenburg soll aber Interesse signalisiert haben, hört man in Genthin.