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Gedenktag Gedenken als heilsamer Prozess

Awo Fachkrankenhaus Jerichow erinnert an die Opfer von Euthanasie. In diesem Jahr jedoch ohne Gäste.

Von Thomas Skiba 27.01.2021, 06:00

Jerichow l Heute, vor 25 Jahren führte der damalige Bundespräsident Roman Herzog (1934 – 2017) den 27. Januar in der Bundesrepublik Deutschland als Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus ein. 2005 legten die Vereinten Nationen diesen Tag zum Internationalen Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust fest. Auch die Awo erinnert in Jerichow seitdem jedes Jahr mit einer Kranzniederlegung am Gedenkstein auf dem Gelände des Awo Fachkrankenhaus Jerichow an die historischen Ereignisse und das unvorstellbare Leid der Menschen.

Dieser Tag ist in den vergangenen Jahren zu einem festen Bestandteil in der Gedenkkultur des Fachkrankenhauses und des Ortes Jerichow geworden. Mit der Kranzniederlegung an dem Tag des Gedenkens gibt es inzwischen ein verbindendes Symbol, unfassbare historische Geschehnisse in die heutige Zeit zu tragen und sie angemessen zu thematisieren. Doch 2021 muss anders, dennoch nicht weniger intensiv, gedacht werden. Wie Pressesprecherin Angelika Heiden informiert, wird am Gedenkstein des Awo Fachkrankenhauses Jerichow wegen des nach wie vor geltenden Besuchsverbotes und Beschränkung des Zutritts des Geländes in diesem Jahr die Kranzniederlegung nur als ein stilles Gedenken stattfinden. „Es werden nur Vertreter des Krankenhauses teilnehmen“, so Angelika Heiden weiter und betont, „für das Haus ist das Anknüpfen an die damaligen Ereignisse und das Erinnern an die Opfer mit Würdigung ihrer Einzelschicksale eine wichtige Tradition geworden.“

Ein Gedenkstein für die Opfer der Aktion „T 4“ auf dem Gelände des Krankenhauses ist Zentrum des Erinnerns, er wurde 2012 eingeweiht. Der Stein weist auf die Geschichte der psychiatrischen Einrichtungen in den 30er und 40er Jahren und mahnt – „Vergesst uns nicht“

Im Rahmen der geheimen Aktion „T 4“ wurden allein 930 Patienten der damaligen Heil- und Pflegeanstalt Jerichow getötet. Sie wurden von dort zu den NS-Tötungsanstalten Brandenburg und Bernburg verschleppt und dort ermordet. Diesem dunklen Kapitel in der über hundertjährigen Geschichte des Fachkrankenhauses Jerichow widmet sich seit Oktober 2009 auch ein Ausstellungsprojekt unter dem Titel „Euthanasie und Eugenik – Das Awo Fachkrankenhaus Jerichow in der Zeit des Nationalsozialismus“. Die ständige Ausstellung hat ihren Platz in den Räumlichkeiten der Krankenhauskapelle und kann, sobald wieder Besuche im Fachkrankenhaus möglich sind, nach vorheriger Anmeldung erschlossen werden.

Vor rund zehn Jahren entschied sich das Fachkrankenhaus, die Historie des Hauses in dieser Zeit aufzuarbeiten. Dazu gründete sich 2009 für die Aufarbeitung eine Arbeitsgruppe im Fachkrankenhauses, bestehend aus Krankenhausmitarbeitern, Studenten, Haupt- wie Ehrenamtlichen Unterstützern, unter Federführung des Referats für Demokratie und Toleranz im Awo-Landesverband Sachsen-Anhalt.

Im Ergebnis entstand eine Ausstellung, die in eindrucksvoller Weise die Geschichte der Eugenik, die Aktion „T 4“ und die Geschehnisse in der damaligen Landesheilanstalt in Jerichow während des Nationalsozialismus darstellt. Mit Unterstützung der Gedenkstätte für die Opfer der NS-Euthanasie“ in Bernburg, dem Historiker Dr. Dietmar Schulze und vieler weiterer Partner, konnten Archive gesichtet, Biografien zu Tätern und Opfern recherchiert sowie bestehende Bestände des Krankenhausarchivs neu eingeordnet werden. Es versucht zu beleuchten, welche Rolle die Klinik bei der „Aktion T 4“ spielte und geht dabei auf die ideologischen Wurzeln ein, die im Sozialdarwinismus und seiner Geringschätzung von Humanität als auch Barmherzigkeit fußten. Auch wenn, anders als sonst, interessierte Menschen aus der Region nicht an der Kranzniederlegung teilnehmen dürfen, so ist es doch jedem möglich, anhand des Begleitheftes zur Ausstellung eine thematische Brücke zu schlagen. Die heilsame Bedeutung des wiederkehrenden Rituals wie eine Kranzniederlegung kann damit zwar nur angeschnitten werden, die Auseinandersetzung mit den unfassbaren Verbrechen gelingt auf alle Fälle.