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Jagd Schussfreigabe für Problemwölfe?

Steckt hinter den Wolfsattacken bei Genthin ein Problemwolf? Kreisbauernverbände machen sich für einen Abschuss des Wolfes stark.

Von Simone Pötschke 02.02.2021, 00:01

Genthin/Tucheim l Die Angriffe auf Schafe und Gehege-Wild bei Hobbytierhalten im östlichen Bereich des Jerichower Landes, die vermutlich auf einen so genannten Problemwolf zurückgehen, seien nicht mehr hinnehmbar. Dieser Meinung verleihen die Kreisbauernverbände Jerichower Land und Stendal gemeinsam mit den Jägerschaften der beiden Landkreise in einem offenen Brief an Claudia Dalbert (Grüne), Ministerin für Umwelt, Landwirtschaft und Energie, Nachdruck. Mit dem Hinweis auf die Leitlinie Wolf drängen sie auf seine Entnahme, also den Abschuss von verhaltens-auffälligen Tieren. Die sei „im Einzelfall im Interesse der Gesundheit des Menschen oder der öffentlichen Sicherheit zulässig“, berufen sie sich auf die Leitlinie.

13 Wolfsübergriffe in Krüssau, fünf Vorfälle innerhalb weniger Monate in Kade und weitere Risse in den Fiener-Dörfern Paplitz und Tucheim beunruhigen die Kreisbauernverbände und die Jägerschaften. Sie heizen die Diskussionen um den Umgang mit dem möglichen Problemwolf weiter an. Denn die Unterzeichner des offenen Briefes drängen zur Wolfs-Identifizierung – und perspektivisch denen weiterer Problemwölfe – auch auf Einsicht in die DNA-Datenlage. Sie wird vom Wolfskompetenz- zentrum Iden verantwortet. Nur so ist aus Sicht der Bauernverbände transparent nachvollziehbar, ob es sich bei den Rissen stets um denselben Wolf, möglicherweise aber auch um einen Hybriden, handele.

Der Vorstoß der Kreisbauernverbände und Jägerschaften bei der Ministerin scheint bisher wenig erfolgversprechend. Jenny Schwarz, Pressesprecherin des Ministeriums für Umwelt, Landwirtschaft und Energie, lässt daran keinen Zweifel. Die Leitlinie Wolf, stellt sie grundsätzlich klar, sei auf der Grundlage der Fauna-Flora-Habitat (FFH)-Richtlinie nicht auf die Tötung des Wolfes, sondern auf den wirksamen Schutz der Nutztiere ausgelegt. Bevor ein Wolf zum Abschuss freigegeben werde, müsste er nachweislich und wiederholt alle Herdenschutz-Maßnahmen, wie einen mobilen, stromführenden Zaun, „geknackt“ und überwunden haben. Anders gesagt: Ein Wolf, der ungenügend gesicherte Nutztiere angreift, ist kein Problemwolf, sondern zeigt normales Raubtierverhalten.

„Die (im offenen Brief, Anm. d. Red.) genannten Risse sind bis auf einen Fall an ungeschützten oder nicht hinreichend geschützten Weidetieren erfolgt.“ An diesen Risse seien, gab Jenny Schwarz zur Auskunft, verschiedene Wölfe beteiligt gewesen. Die Pressesprecherin schließt einen einzigen Wolf für die im offenen Brief angeführten Vorfälle aus. „Es handelt sich also nach uns vorliegenden Daten nicht um eine mehrfache Überwindung eines wolfsabweisenden Herdenschutzes durch bestimmte identifizierte Wölfe“, antwortete sie auf eine Anfrage der Volksstimme. Damit bestehe keine Veranlassung für eine Entnahme, erteilt die Pressesprecherin den Forderungen aus dem offenen Brief der Bauernverbände eine Absage.

Für Schwarz erhöht auch die geforderte „Einsicht in die DNA-Datenlage“ nicht die von den Kreisbauernschaften gewünschte Transparenz, da sie aus ihrer Sicht als „solche keinen Aussagewert haben.“ Sie verweist darauf, dass das Wolfskompetenzzentrum Iden mit einer öffentlich einsehbaren Rissdatenbank die gemeldeten Risse transparent darstelle.

Rüdiger Claus, Tierhalter, Grünen-Chef im Jerichower Land und Jäger, vereint in persona gleich mehrere verschiedene Interessenlagen, die sonst untereinander auf Konfrontation ausgerichtet sind. Die Grünen im Jerichower Land, das ist ihm wichtig zu betonen, setzten sich dafür ein, dass der Abschuss von nachgewiesenen Problemwölfen konsequent erfolge. Weil den Grünen die Weidetierhaltung wichtig sei, hätten sie vor zwei Jahren beschlossen, so genannte Problemwölfe zu definieren und Verfahrensvorschläge zu erarbeiten.

Für das Töten von Problemwölfen hatten sich Landrat Steffen Burchhardt (SPD) und der Kreistag Ende November ausgesprochen. Beide forderten das Land zum Handeln auf. Laut Burchhardt habe der Kreistag deutlich gemacht, „dass er die Landesregierung in der Pflicht sieht zu handeln, um die Nutztierhalter und die Bevölkerung besser zu schützen“. Der Kreistag hatte den Entwurf einer neuen Wolfsresolution mit der Forderung zur Reduzierung des Schutzstatus „und zur Entnahme von Problemwölfen“ sowie Verbesserung der Entschädigung von Nutztierhaltern verfasst.

Bei dem nächsten ordentlichen Kreistag soll die Wolfsresolution verabschiedet werden. Derzeit ist allerdings offen, ob es Änderungsanträge geben wird .

Im Kern, rekapituliert Rüdiger Claus, gehe es nach seinem Dafürhalten in allen öffentlichen Diskussionen allein um die Frage, „wann ein Wolf ein Problemwolf ist und wann er normales Verhalten zeigt.“

Das Land Brandenburg will den Abschuss von Problemwölfen zukünftig etwas erleichtern. Dazu sollen Regelungen in der Brandenburgischen Wolfsverordnung geändert werden. Geplant ist, dass für einen Abschuss nicht mehr gezielt der Übeltäter identifiziert werden muss, der die Nutztiere gerissen hat. Künftig sollen im Wiederholungsfall auch Tiere aus einem Rudel entnommen werden können, wenn die Schäden keinem bestimmten Wolf zugeordnet werden können. An erster Stelle steht – ganz im Sinne der FFH-Richtlinie – aber auch hier der Herdenschutz: Bevor ein Schuss fällt, muss festgestellt werden, dass die Weidetiere durch zumutbare Herdenschutzmaßnahmen geschützt waren.