Energiewende Jerichow debattiert: Kommt bald Solarstrom vom Acker?
Sollen Äcker und Wiesen zukünftig mit Solaranlagen voll gestellt werden und so den Energiebedarf sichern? An dieser Frage scheiden sich in Jerichow die Geister.

Jerichow - Die Energiewende, das heißt weg von fossilen Brennstoffen hin zu den erneuerbaren Energien, ist in Jerichow schon länger ein Thema. Sind Solaranlagen auf dem Acker ein Fluch oder eine Chance neben der Energiewende auch noch die Agrarwende hinzubekommen?
In den vergangenen Jahren wurde der Bau von Solarparks und Photovoltaikelementen auf Dächern vorangetrieben, unter anderem in Wulkow, Kade und in Jerichow selbst. Und geht es nach den Menschen in den Ortschaften, soll damit noch lange nicht Schluss sein. Doch mit einer Beschränkung: Es sollen dafür keine landwirtschaftlichen Nutzflächen geopfert werden. „Das wollen wir nicht“, sagt der Bürgermeister der Einheitsgemeinde, Harald Bothe (parteilos), kurz und knapp.
In letzter Zeit mehren sich Informationen aus den Ortschaften, dass Vertreter von Firmen, die Photovoltaik-Anlagen vertreiben, sich bei den Besitzern von Acker- und Wiesenflächen melden – bereits in Kenntnis der genauen Anschrift wie auch der Ausmaße der Flächen. „Befremdlich, woher sie die Informationen haben und außerdem direkt auf die Leute zugehen, ohne die Bürgervertreter zu informieren“, sagte kürzlich ein Schlagenthiner auf einer Zusammenkunft des Ortschaftsrates.
Schlagenthins Ortschefin will lieber Solaranlagen auf Dächern installieren
Birgit Weber, Ortschefin in Schlagenthin und selbst in der Landwirtschaft tätig, sagt: „Wir können unsere Ackerflächen nicht damit vollstellen, auch und gerade mit dem Blick auf das aktuelle politische Geschehen.“ Es gebe genug Dachfläche, nur sei hier die Ausstattung mit Solarpaneelen immer noch Privatsache, so Weber, „doch in dieser Form würde ich das Aufstellen weiterer Photovoltaik-Anlagen unterstützen“.
Photovoltaikanlagen können jedoch ihre Stärken auf freien Flächen voll ausspielen, auf Hausdächern ist das nicht immer der Fall. Denn ein wichtiger Aspekt ist der richtige Neigungswinkel, der auf Freiflächen jeder Art auf den Sonnenstand ausgerichtet werden kann. So wächst der Ertrag um durchschnittlich 30 bis 50 Prozent der Strommenge, die kleine Anlagen auf Hausdächern produzieren, wie es beim Internetportal „Solarförderung.de“ heißt.
Solarfirmen suchen auch in Jerichow nach Aufstellflächen
Seit Solarmodule in der Herstellung günstiger geworden sind, suchen Investoren Flächen und bieten teilweise hohe Pachten, machen aber auch auf Neuerungen aufmerksam. Denn auch in der Solartechnologie steht die Zeit nicht still. Auf einer Informationsveranstaltung in Wulkow macht vor kurzem die Firma Sunfarming auf ein Projekt aufmerksam, das auf das Interesse der Einwohner stieß und dort für eine gewisse Aufbruchsstimmung sorgte. Mit licht- und wasserdurchlässigen Modulen, die in einem größeren Abstand zum Boden installiert werden, könnte Solarstrom und Landwirtschaft einen Zusammenschluss bilden, so die Befürworter. Damit würde sich für das Dorf neue Möglichkeiten bieten, weg vom konventionellen Wirtschaften auf großen Flächen mit wuchtigen Maschinen, hin zu Gartenkulturen und dem Anbau unter ökologischen Gesichtspunkten.
Die Wulkower sehen hierin auch eine Alternative zum Ausbau der immer unbeliebteren Windkraft wie auch zum großflächigen Anbau von Maismonokulturen, deren Früchte letztlich in Biogasanlagen landen. Außerdem könnte, so Ortschef Gerd Bunjes, dann auf mittlere Sicht darüber nachgedacht werden, aus dem grünen Strom grünen Wasserstoff zu produzieren. D
Auch Industrieflächen könnten mit Solarmodulen bestückt werden
Trotz verlockender Angebote seitens der Investoren steht aber für die meisten Stadtverordneten fest, landwirtschaftliche Nutzflächen, auf denen konventionell gewirtschaftet wird, sollen nicht weiter bebaut werden. Anders sehe das auf sogenannten benachteiligten Gebieten aus, die durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz definiert sind: Diese Flächen liefern schwächere landwirtschaftliche Erträge, weil zum Beispiel die klimatischen Bedingungen ungünstig sind oder die Bodenqualität schlechter ist. Oder den Landwirten fällt die Bewirtschaftung schwer. Was als benachteiligtes Gebiet gilt und was nicht, regelt das EU-Recht.
Diese benachteiligten Flächen gibt es auch in Jerichow, und hier sollte angesetzt werden, sagt Holger Wenslau, Ortsbürgermeister von Kade. Warum Acker- und Grünlandflächen weiter mit Solaranlagen bebaut werden sollen, versteht der Kreisvorsitzende des Nabu, Sven Königsmark, nicht. Vielmehr, so sagt er, sollten bereits versiegelte Flächen und Industriebrachen dazu genutzt werden: „Davon gibt es auch hier bei uns jede Menge.“
Bauernverband legt Positionspapier vor
Bei allem Für und Wider ist die Richtung hin zum Ausbau der erneuerbaren Energien absehbar – die Errichtung von Photovoltaikanlagen gilt als wichtiger Baustein zur Sicherung des zukünftigen Energiebedarfs mit einer dezentralen Energieerzeugung. Dazu könnte auch gehören, dass, gesetzlich geregelt, fünf Prozent der Landesfläche, verteilt auf die Kommunen, im Landesentwicklungsplan Sachsen-Anhalts für Solarflächen genutzt werden müssen, wie Peter Deumelandt, Geschäftsführer des Bauernverbandes Jerichower Land sagt.
Der Bauernverband Sachsen-Anhalt hat dazu ein Positionspapier erarbeitet, das unter anderem dem Ausbau von Photovoltaikanlagen auf benachteiligten Flächen, mit Einschränkungen vorsieht und Größe von Einzelanlagen auf Flächen begrenzt. Außerdem sollen die Kommunen weiterhin die Entscheidungshoheit über die Errichtung von Photovoltaikanlagen behalten. Ein wichtiger Punkt sei auch, dass Betreibergesellschaften in der Standortgemeinde liegen, damit das Geld in der Region bleibt, so Deumelandt, der an dem Erstellen des Positionspapieres beteiligt war.
Der Stadtrat beschäftigt sich am 12. April bei einer Infoveranstaltung zu einem Solarprojekt mit dem Thema.