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Stolperstein Ein Stein des Anstoßes

Dass im Gedenken an die Opfer des Holocaust in Genthin kein Stolperstein verlegt wurde, beschäftigt die Öffentlichkeit.

Von Simone Pötschke 08.02.2019, 00:01

Genthin l Das Gedenken an die Opfer des Holocaust beschränkt sich in Genthin fast ausschließlich auf den dafür initiierten Internationale Gedenktag am 27. Januar, dem Tag, an dem 1945 das KZ Auschwitz befreit wurde. Eine Erinnerungs- und Gedenkkultur an jüdische Opfer aus Genthin wird darüber hinaus nicht gepflegt. „Warum“, fragt Heidi Schulze vor diesem Hintergrund, „gibt es in Genthin immer noch keine Stolpersteine“.

Sie reagierte damit auf einen Post der Facebook-Seite von Bürgermeister Matthias Günther zum jüngsten Holocaust-Gedenken auf dem jüdischen Friedhof. „Vielleicht“, schreibt Heidi Schulze, „gibt es Menschen oder Firmen, die für solche Steine Patenschaften übernehmen oder sponsern.“ Anders als in Genthin gibt es - wie bereits in vielen Städten und Großstädten Deutschlands - auch in den Nachbarstädten wie Stendal und Havelberg längst eine Reihe von Stolpersteinen.

Das Burger Stolperstein-Projekt startete im März 2013 und wird getragen vom Runden Tisch gegen Rechts. In der Kreisstadt gibt es inzwischen 27 Stolpersteine an acht Verlegestätten. Die Burger machen damit vor, was in Genthin bisher scheiterte. 2013 unternahm ein Schüler einen Vorstoß über den „Lokalen Aktionsplan“, ein Bundesförderprogramm, einen Stolperstein für den Genthiner Kaufmann Hugo Magnus verlegen zu lassen. Doch der verlief aufgrund mangelndem Interesses im Sande.

Zum Auftakt des Bundesprogramms „Demokratie leben“ im Jahr 2015 hieß es auf Volksstimme-Anfrage, dass ein Antrag auf Legen eines Stolpersteines für Magnus förderfähig sei und begrüßt würde. Doch es geschah wieder nichts: Es fand sich kein Antragsteller. Hugo Magnus war seit 1902 in Genthin ansässig und stand der jüdischen Gemeinde ab 1910 bis zu ihrer Auflösung Anfang der 1930er Jahre vor. Von Hugo Magnus und seiner Familie ist bekannt, dass ihnen die Flucht nach Shanghai auf abenteuerliche Weise gelang und sie 1950 nach New York übersiedelte.

1933 zählte die jüdische Gemeinde in Genthin 29 Gläubige. Lediglich drei, vermutlich die Familie Magnus, hatten 1939 Genthin noch nicht verlassen. Angaben über säkulare Juden oder Halbjuden, die in Genthin lebten, liegen nicht vor. Gesichert ist allerdings, dass Mitte der 1930er die Genthiner Juden entweder in der Anonymität der Großstädte, bevorzugt in Berlin, Schutz suchten, oder ins Ausland flohen.

In der zentralen Opferdatei der Gedenkstätte Yad Vashem in Jerusalem finden sich - nachlesbar im Internet - die Namen von insgesamt 13 Ermorderten, die ihr Geburtsort Genthin miteinander verbindet. Es handelt sich dabei allerdings nicht um die namentlich bekannten Genthiner der jüdischen Gemeinde, von denen nicht wenige nachweislich den Holocaust auch nicht überlebten. Es gibt also in Genthin genügend Nachholbedarf, zur Geschichte der Juden zu forschen.

Vorerst der einzige gebürtige Genthiner und Jude, dem ein Stolperstein gewidmet ist, bleibt Georg Cohn (1887 bis 1943). Cohn, verheiratet mit einer Nichtjüdin, lebte als erfolgreicher Geschäftsmann in Hamburg. Er engagierte sich ehrenamtlich für die Hamburger Bezirksstelle der Reichsvereinigung der Juden. Er musste nach der Geschäftsaufgabe zunächst Zwangsarbeit leisten. Nach seiner Verhaftung kam er über das KZ Fuhlsbüttel nach Auschwitz, wo er am 14. September 1943 ermordet wurde.

Für Georg Cohn wurde in Hamburg-Harburg an der Lüneburger Straße 44 ein Messingstein eingelassen. Recherchen der Volksstimme zu noch lebenden Angehörigen Georg Cohns blieben erfolglos. Mit den Stolpersteinen, ein 1992 initiiertes Projekt des Kölner Künstlers Gunter Demnig, wird an die während des Nationalsozialismus ermordeten jüdischen Mitmenschen erinnert, aber auch an all die, die aufgrund der Repressionen im Dritten Reich um ihre Existenz gebracht worden sind und ihr bisheriges Leben aufgeben mussten.

 Stolpersteine, kleine Messingtafeln mit Namen, Geburts- und Sterbedaten des Opfers, werden mit einem angegossenen Betonwürfel meist vor dessen letzten Wohnhaus niveaugleich in einen Gehweg eingelassen. Die Kosten für einen solchen Stolperstein liegen bei 120 Euro, dazu kämen eventuell für den Künstler, der den Stolperstein anbringt, Kosten für Anreise oder Übernachtung.