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Theater Tief beeindrucktes Publikum

Einen bewegenden Theaterabend erlebten rund 70 Zuschauer in Genthin. Gespielt wurde das Stück „Ich werde nicht hassen“.

Von Mike Fleske 08.04.2017, 06:00

Genthin l „Es ist Zeit, dass wir uns hinsetzen und endlich miteinander reden.“ Als der letzte Satz von Schauspieler David Kosel verklungen war, herrschte zunächst einen Moment Stille. Die 70 Besucher im Lindenhof mussten sich fassen. Denn für rund eine Stunde wurden sie mit den Mitteln der Schauspielkunst ganz dicht an einen Konflikt herangeführt, der vielen doch weit entfernt erscheint.

Das Stück „Ich werde nicht hassen“ erzählt die Geschichte des palästinensichen Arztes Izzeldin Abuelaish, der im Flüchtlingslager Jaballa im Gaza-Streifen aufwuchs und von Klein auf den Nahostkonflikt zwischen Israelis und Palästinensern hautnah miterlebte. Schauspieler David Kosel schlüpfte in die Rolle des Arztes, der in bitterer Armut aufwuchs, früh arbeiten musste und sich dennoch bis zum Medizinstudium in Kairo vorankämpfte und der erste palästinensische Gynäkologe in einem israelischen Krankenhaus wurde. „Meine Aufgabe ist es, Kinder auf die Welt zu bringen, ganz gleich welcher Herkunft.“

Der Arzt machte einen Abschluss in Harvard, arbeitete für die WHO in Brüssel und in Afghanistan. „Ich reiste von einem Krieg in den nächsten.“ Er ist ein Idealist und bleibt ein steter Kämpfer für Frieden und Versöhnung. Kosel ist in seiner Rolle ganz bewusst gegen die eigentliche Vorlage besetzt. Er ist ein junger, drahtiger Mann mit europäischem Aussehen. Allein durch seine darstellerische Kraft vermag er es aber, den Zuschauern ein Gefühl für das Leben im besetzten Gazastreifen zu geben.

Kosel spielt die Angst der Menschen vor Gewalt, die Ohnmacht der Bevölkerung gegenüber den Besatzern und er spielt Freude. Über die gelungene Promotion des Arztes, über die Hochzeit im Hause Abuelaish, Freude über die Geburt der Kinder. Er erzählt über den Moment, als der Arzt seine schwer krebskranke Frau im Krankenhaus besuchen wollte und zehn Stunden am Grenzübergang nach Israel festgehalten wurde. Als er im Krankenhaus ankam, war seine Frau verstorben.

Viel braucht David Kosel nicht, um die Zuschauer in diesen Situationen für die Geschichte zu gewinnen. Im Lindenhof gibt es kein Bühnenbild. Nichts soll ablenken von der Geschichte, die ihren tragischen Höhepunkt in der Bombardierung des Hauses des Arztes findet. Kosel schildert die Folgen. Drei der Töchter und eine Nichte des Arztes liegen zerfetzt am Boden. Kosel schaute ins Leere und beschrieb die Ströme von Blut, vom Rumpf abgerissene Köpfe, kleine Kinderhände, die abgetrennt in der ausgebombten Wohnung verteilt lagen.

Und dann nach einem Moment des Schweigens der Satz „Es ist Zeit, dass wir endlich miteinander reden.“ Beileibe kein leichter Abend. „Wir sind tief bewegt und ich habe bei einigen auch Tränen in den Augen gesehen“, sagte Touristinfochefin Marina Conradi. Gemeinsam mit dem Chef des Genthiner Amateurtheaters, Eckhard Neumann, hatte sie den Abend vorbereitet.

Neumann kennt Wolfram Scheller, den künstlerischen Leiter der LehnschulzenHofbühne Viesen. Mithilfe einer finanziellen Förderung durch das Bundesprogramm „Demokratie leben!“ wurde die Aufführung nach Genthin geholt. „Ich bin genau so bewegt wie alle anderen Besucher, bei mir kommt dazu, dass ich froh über die große Resonanz bin“, meinte Neumann nach der Vorstellung. Die syrischen Besucher lobten die arabische Aussprache von Schauspieler Kosel. „Das hat mich sehr beeindruckt, wie er während der Aufführung aus dem Koran zitiert hat“, sagte einer.

David Kosel und Wolfram Scheller standen für Gespräche mit dem Publikum zur Verfügung. „Wir haben die Erfahrung gemacht, dass viele Menschen den Wunsch haben, nach der Aufführung zu sprechen“, meinte Scheller, der mit den Zuschauern nicht nur über den Nahostkonflikt und den Hass auf beiden Seiten, sondern auch über das Thema Trauer nach Anschlägen sprach. „Für mich hat dieser Arzt sofort den Friedensnobelpreis verdient, nicht nur eine Nominierung“, so ein Besucher, der es richtig und wichtig fand, dass diese Aufführung in Genthin zu sehen war.